Mehrere Monate irrte Musikproduzent Shel Talmy im Jahre 1964 mit dem Sänger und Komponisten Ray Davies sowie seiner Band durch verschiedene Londoner Studios. Der Titel „You Really Got Me“ wollte einfach nicht so klingen, wie Ray Davies es sich vorgestellt hatte.
Am 12. Juli 1964 entstand endlich in den IBC Studios auf einer 3-Spur-Ampex Bandmaschine eine temporeich gespielte Fassung des Songs. Der Rest wurde Musikgeschichte.
But the record company said „look, we don’t believe in it. We’re very sorry, we don’t believe in it. If you want to make the record, fine, but you have to pay for the recording yourselves.“
Aus dem Album The Storyteller – The Third Single (Dialogue) – Ray Davies erzählt die Geschichte des Songs „You Really Got Me“
Et voilà! „You Really Got Me“ und die Kinks!
„Denn alles, so wird’s erzählt, fing an mit einem ruppig-ungebärdigen Riff. Überhaupt ist der Song als ein, wenn nicht als der Schlüsselmoment der Popgeschichte beschrieben worden, wobei der Pop ja nichts auslässt, keinen Superlativ. Aber es war wohl wirklich so, dass die Händchen haltenden Beatmusikjahrgänge den gierigen Rock entdeckten. Die Metamorphose vom Netten zum Bösen war eingeleitet, und wenn das einigen Bands nachgesagt wird, dann war es ohne Frage so, dass die Kinks den neuen Ton im August 1964 einführten.“ Christian Thomas – Frankfurter Rundschau vom 12.06.2015
Der Groove
Nun funktioniert ein Groove meist nicht aus dem musikalischen Kontext herausgerissen für sich alleine. Ein Faktor für die Spannung des Drumparts von You Really Got Me ist der Kontrast eines bisher nie so gehörten harten und nach vorne gemischten Beats mit dem melancholisch zerbrechlichen und bluesartigen Gesang von Ray Davies.
Ausgangspunkt der 4/4 Takte sind Achtelschläge auf dem Ride-Becken und den inzwischen üblichen kräftigen Snare-Backbeats auf der „2“ und der „4“. Also, nichts Aufregendes.
Bemerkenswert ist, dass die Becken-Achtel nicht so wie bisher in der „Beatmusik“ zumindest gleichberechtigt laut hörbar sind oder ein unüberhörbares Grundrauschen verursachen. Ein tief klingendes angecrashtes Becken ist jedoch unregelmäßig auf den Backbeats der Zählzeit Vier zu hören. Mehr oder weniger gleichzeitig zum Gitarren-Riff („dam da da dam dad“) wird ein Schellenkranz (von Kinks Drummer Mick Avory) geschlagen.
Interessant und neu für einen Beat aus dem London der 60er Jahre sind die Bass Drum Schläge auf der „2-Und“ sowie der „4-Und“, synchron zum Gitarren-Riff. Wird der Beat mit Autorität und dem moderaten Tempo getrommelt, entsteht die für You Really Got Me typische Spannung aus Schwere und Luftigkeit des Grooves.
Ein derartig harter und dennoch musikalischer Beat hatte es zuvor nicht auf das Vinyl einer Hit-Single geschafft.

Das folgende Hörbeispiel basiert auf den oben gezeigten Noten.
Der Drummer – Bobby Graham
Wie so oft: Auf Debüt-Hit-Singles berühmter Bands sind aus den unterschiedlichsten Gründen die Drummer durch Studiomusiker ersetzt. So spielte nicht Mick Avory die Drums, sondern der englische Studiomusiker Bobby Graham.
The Sessionman
Das Werk von Graham ist beeindruckend. Er ist auf über 15.000 Titeln als Studio-Drummer zu hören. Link zur Discography Bobby Graham.
„With this recording (You Really Got Me) and many others, Bobby Graham offers the example of a musician many have heard, but too few have heard of. (You Really Got Me, Bobby Graham: In Memory; Gordon Thompson; Oxford University Press’s)
Graham war ein Session- und Studiomusiker aus Überzeugung. So hat er sich auch nie über den Ruhm, den er den auf Schallplatten-Covern ausgewiesenen Band-Drummern verschaffte, beklagt oder damit geprahlt. Ganz im Gegenteil.

Die Kinks setzten Nicky Hopkins und wohl auch Bobby Graham mit dem Song Session Man ein Denkmal. Der Titel der Bobby Graham Biografie lautet so auch The Session Man ( Patrick Harrington: Broom House Publishing Ltd., 12 Nov 2004 – ISBN 0-9549142-0-1.)
1997 nahm Ray Davies den Song You Really Got Me für sein Album The Storyteller in einer langsameren Version mit Graham am Schlagzeug erneut auf.
Ein sehr interessantes Interview mit Bobby Graham über seine Zusammenarbeit u. a. mit Ray Davies und den Kinks hat Mike Dolbear für seinen Drummer-Blog geführt. Auf http://mikedolbear.com/interviews/drummer-bobby-graham/ ist es nachzulesen.
Christian W. Eggers – 4. April 2021 (letzte Aktualisierung am 20. September 2022) – christian@stompology.org