Eine Eigenart des Rock ’n‘ Roll war und ist es, längst Bekanntes im neuen Gewand zu spielen. Hierzu gehört die Wandlung ursprünglich „hüpfender“ Piano Boogie Phrasen in gerade Achtel. Diese Wandlung vom Shuffle zum geraden „binären“ Groove wird oft mit der rhythmischen Auffassung weißer Interpreten des frühen R&B erklärt.
Tatsächlich aber waren es die Großmeister des R&B selbst, die diese Wandlung vollzogen. Ein Vorreiter dieser „modernen“ Spielweise war Little Richard. So wie Richard am Piano hatte Chuck Berry die Gabe, die „straight-eights“ auf der Gitarre geradezu herauszupumpen und damit das unerschütterliche rhythmische Fundament eines Songs zu legen.
„Als einer der ersten schwarzen Musiker brachte er [Chuck Berry] den „Twang“-Sound weißer Country-Musik in die schwarzen Rhythm-and-Blues-Kneipen, in denen er mit seinen frühen Bands auftrat. Das Publikum verspottete ihn dafür als „Black Hillbilly“, doch als mehr und mehr weiße Zuhörer in die Klubs kamen, schien sich für einen kurzen Moment die Möglichkeit einer von Rassenfragen befreiten Popkultur zu eröffnen.“
Der Spiegel (1)

Der Groove
Der den Song Nadine von Chuck Berry prägende rhythmische Charakter besteht im Zusammenspiel von Gitarre und Schlagzeug. Es gibt nicht so viele Hits, deren Gitarren-Groove mit dem von Nadine vergleichbar ist. Vielleicht am ehesten noch das dadaistische Woolly Bully der skurrilen Band Sam the Sham & the Pharaohs.
Hier kannst Du Nadine von Chuck Berry anhören: CHESS Recording, 1964, YouTube
Die Gitarre
Den hohen Wiedererkennungswert erhält der Groove durch die Spielweise der 1-taktigen Achtelfigur als Lauf auf der Gitarre: 1-Und-2-Und-3-Und-4-Und. Auf der Zählzeit 4-Und „sitzt“ dann ein Gitarren-Akzent (von unten nach oben gespielt = Upstroke-Akzent), der in den nachfolgenden Takt hineintreibt.
Das Schlagzeug – Der „Million-Dollar-Beat“
Wie bereits beschrieben: Nicht einmal ein Anflug von Swing ist zu hören. Das war 1964 noch etwas relativ Neues. Es ist der „Ur-Million-Dollar-Rock-Beat“. Tausende erfolgreiche Songs sollten folgen, denen dieser schlichte 4/4-Drum-Beat mit seinen Achtel-Schlägen auf der Hi-Hat zu Grunde liegt. So auch in dem Song Billy Jean von Michael Jackson.
Das Schlagzeug beschränkt sich auf das Allerwesentlichste. Im Notenbild sieht das dann auch völlig unspektakulär aus.

R&B Variante
Chuck Berry hatte keine eigene Band. Flog er zu einem Konzert nach Paris, dann begleiteten ihn eben Musiker der Pariser Szene. Über die vielen Jahre sind zahlreiche Live-Aufnahmen mit „fremden“ Schlagzeugern entstanden. Einige von ihnen spielten Nadine ein wenig mehr im Stile des frühen R&B. Diese Spielweise zeigt die nachfolgende Notation.
Die Abwandlung hat einen kaum wahrnehmbaren nicht ständig gespielten Akzent auf der Zeit 4-Und synchron zur Gitarre. Die Hi-Hat wird nicht (!) mit dem Fuss hart geschlossen, so dass sie für etwas klangliche Bewegung sorgt. Die Bassdrum wird „old·school“ leise auf den Vierteln durchgespielt.

Etwas druckvoller wird die Zeit 4-Und, wenn sie zusätzlich (leise) auf der Bassdrum gespielt wird. Aber Vorsicht: Weniger ist hier mehr!
Probiert man das einmal aus und konzentriert sich auf die 4-Und, ist die Wirkung verblüffend. Ist man im Fluss mit einer Band und verzichtet auf jedes „Mätzchen“, wünscht man sich, dass der Song nicht schon nach zweieinhalb Minuten in die Zielgrade gelangt.
Der Drummer Odie Payne
„Odie Payne entwickelte den berühmten Double-Shuffle, der später von Fred Below und Sam Lay mit großer Wirkung verwendet wurde. Payne nahm für Chess auf, darunter eine Reihe klassischer Chuck-Berry-Songs wie Nadine und No Particular Place to Go. Er nahm mit den meisten großen Chicagoer Blueskünstlern auf: Otis Rush, Sonny Boy Williamson II, Muddy Waters, Jimmy Rogers, Eddie Taylor, Magic Sam, Yank Rachell, Sleepy John Estes, Little Brother Montgomery, Memphis Minnie und vielen anderen.“ (2)

Ich wünsche viel Freude mit dem Üben, Ausprobieren und Abwandeln dieses wunderbaren „gerade Achtel Songs“ der frühen 60er Jahre.
Christian W. Eggers – 14. Januar 2023 – christian@stompology.org (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 16. Januar 2022)
Literatur und Links
- „Nachruf auf Chuck Berry – Outlaw wider Willen“ – Der Spiegel
- Kurzbiografie Odie Payne; earwigmusic.com „Odie Payne„, aus dem Englischen übersetzt
- Link zur Originalaufnahme „Nadine“, CHESS Recording, 1964: YouTube
Bildnachweise
- Titel (Teaser) Chuck Berry, Foto verändert durch Auschnitt und Schrift im Bild, via wikimedia; Titel: Chuck Berry circa 1958.jpg ; Lizenz: Public Domain ursprüngliche Quelle: Pickwick / Billboard Billboard 25 nov. 1972
- Chuck Berry demonstriert im Fotostudio seinen berühmten Duckwalk, via wikimedia; Titel: Chuck Berry circa 1958; Lizenz: Public Domain, ursprüngliche Quelle: Pickwick / Billboard 25 nov. 1972
- Odie Payne, 1978; Autor: Lionel Decoster – Titel: American Chicago blues drummer Odie Payne in Montreux, Switzerland; via Wikimedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Odie_Payne#/media/Datei:Odie_Payne.jpg ; Lizenz CC BY-SA 3.0
Vielen herzlichen Dank für den Beitrag und, wie immer schön zu lesen! 🙂
Stompology ist einfach eine tolle „Serie“!
Da tendenziell alle Beiträge sehr gut und stets interessant sind, schnitz‘ ich mir glaube ich bald einen Kartoffelstempel für die positiven Kommentare .. 🙂