Get It On – Vom Blues Riff zum Rock’n’Roll der 70er Jahre

Mit diesem Artikel soll gezeigt werden, wie Du im Stil der 70er Jahre Rock’n’Roll spielen kannst.

Zur Anschauung des Ur-Rock’n’Roll-Riffs dienen drei Songs: Get It On von T.Rex (1971), Long Cool Woman von The Hollies (1972) und eine inzwischen etwas verborgene Perle des deutschen Rock’n’Rolls: Für mich ist es Rock’n’Roll von Wolfsmond (1982). 

Häufig wird gesagt: „Rock’n’Roll ist schnell gespielter Blues.“ Damit entsteht ein Missverständnis, das die Entwicklung von Spielweisen des Rock’n’Roll zu einem eigenen Genre unberücksichtigt lässt.  

Gemeinsam ist diesen drei und stellvertretend genannten Songs eine Spielweise, die auf ein einfaches Blues-Gitarren-Riff zurückzuführen ist. Nur kleine Änderungen hieran ermöglichen aufregende Grooves, die eine Tür zum Rock‘n’Roll an der Schwelle zur Rockmusik öffnet.   

Der Ursprung – Ein einfaches Gitarren Blues Riff

Richtig ist wohl, den Ursprung des Rock’n’Roll auf eine einfache und grundlegende Spielweise des Boogie Woogie zurückzuführen. Die unten gezeigte Abfolge ist eine Spielweise im 4/4 Takt, die auch heute noch gerne am Boogie-Piano gespielt wird. Die Figur wird, eingedeutscht gesagt, „geshuffelt“ und gehört damit zu den sogenannten ternären Grooves.

Die Grafik zeigt am Beispiel der Tonart E eine einfache Up-and-down Spieltechnik auf zwei Saiten. Es müssen inzwischen tausende Songs sein, die auf dieser Spielart basieren.
Im Video zu sehen und zu hören ist ein einfaches Ur-Blues Riff in ternärer Spielweise. Es wird in der „down-up und down-down Schlagtechnik“ gespielt.

Aus Swing werden „straight eights“

Ende der 50er Jahre vollzog sich eine Wandlung zu Kompositionen mit Rhythmen die mehr „gerade“, ohne den zum Beispiel bei Bill Haley dominierenden Swing, gespielt werden. Diese Auffassung wird als „binäre Rhythmik“ bezeichnet. Insbesondere die Songs von Little Richard und Chuck Berry trugen zu dieser Wandlung bei.

Hier wird aus der swingenden Spielweise eine „gerade“ Spielweise. Mit dem Handballen der Schlaghand werden die beiden beteiligten Saiten leicht gedämpft. Besonders „straight“ klingt es, wenn man überwiegend mit Downstrokes spielt.

Neu war auch das Gitarrenspiel, das jetzt häufig auf Akkorde verzichtete und sich mit Zweiklängen begnügte. Dabei wurde ein perkussiver Charakter mittels des auf die Saiten aufgelegten Handballens erzeugt. Jetzt noch das Ganze auf eine E-Gitarre verlagert und siehe da! Die Rock-Gitarre war geboren.

Das Video zeigt das Ur-Blues Riff in binärer Spielweise.

Neue Akzente – Der „Und-Trick“

Auf der Basis dieses neuen Stils, der mit Chuck Berry seinen Lauf begann, werden „Und-Akzente“ (Offbeats) dem nunmehr „straighten“ Gitarrenspiel hinzugefügt.

Dabei wird eine winzig kleine Änderung der Abfolge der Zweiklänge vorgenommen: statt des erwarteten 6er-Zweiklangs auf den Und-Achteln folgt der Zweiklang, der auf den Achteln der Eins und der Drei gespielt wird. Hier im Beispiel ist es das „reine“ E.

Die wohl bekanntesten Songs, denen diese oder eine ähnliche Spielweise zu Grunde liegt und die durch sie geprägt sind, stellen die bereits oben genannten Songs Get It On von T. Rex und Long Cool Woman von The Hollies dar.

Eine entspannte und zurückgenommene Spielweise des oben dargestellten Gitarren-Parts taucht in Kompositionen von JJ Cale und Eric Clapton häufiger auf. Sie ist typisch für den sogenannten Tulsa-Sound.

In Ermangelung eines Fachbegriffs dieser Gestaltung einer Rhythmik, die für viele „den Rock’n’Roll der 60er und 70er Jahre ausmacht“, wird die Spielweise hier als der „Rock’n’Roll-Und-Trick“ bezeichnet. Mit „Und“ sind die Achtel-Offbeat-Akzente auf den Zählzeiten 2 und 4 gemeint.

Hier im Video zu sehen und zu hören: die Abwandlung der binären Spielweise durch Akzente im Offbeat und das Ersetzen des 6er-Zweiklanges durch einen „reinen“ Dur-Klang.

Es geht dabei um die Noten, die nicht auf dem Puls, sondern als zweite Note eines Grundschlages in der Zweiteilung der Viertel zu Achtel gespielt werden. Das ist die „Und-Note“.

Zusammen mit der jetzt durchbrochenen strengen, gleichmäßigen Abfolge der Zweiklänge (siehe Grafik „Wandlung zur binären Spielweise), ensteht eine Gitarren-Rhythmik, die treibt (nach vorne drängt) und die sich gleichzeitig wieder auszubremsen zu scheint. Diese Spielweise einer Rhythmusgitarre im „gebremsten Schaum“ wirkt trotz der Redundanz nie langweilig. Sie ist sexy und inspiriert die Band zum Zusammenspiel rund um diesen Groove.

Weitere Akzente einer zweiten Gitarre

Das „Salz in die Suppe“ bringen zu der oben beschriebenen Spielweise die Akzentsetzungen einer zweiten Gitarre. Spätestens beim Einsetzten der zweiten Gitarre dürfte es schwer fallen die Füße noch ruhig zu halten. 🙂

Die Grafik zeigt die typischen Akzente auf der Basis von „Get It On“. Selbstverständlich funktionieren diese Akzente auch auf anderen Zählzeiten, sofern Offbeat-Akzente (Und-Akzente) eingebaut sind. So ist auch denkbar, im ersten Takt 2 Akzente und im zweiten Takt 3 Akzente zu platzieren. Je nach Struktur des Songs kann auch die Abfolge der Akzente auf der Eins-Und starten.
Das obige Video zeigt die Akzente der zweiten Gitarre. Gut, wenn man eine „Büro-Gitarre“ zur Hand hat und gerade nichts los ist. 🙂

Für mich ist es Rock’n’Roll

Der Song Für mich ist es Rock’n’Roll von Wolfsmond zeigt, wie man die oben beschriebenen Spielweise ein wenig variieren kann und nicht zwangsläufig in die großen Schuhe des Dinosauriers Get It On der Glamrock-Band T. Rex rutscht. Die Möglichkeiten sind unendlich. Nennt es wie Ihr wollt. Es kommt stets ein Groove heraus, über den sich sagen lässt: „Für mich ist es Rock’n’Roll!“

Hörbeispiel für die Verwendung des Ur-Blues-Riffs im neuen Gewand des Rock’n’Rolls: hier einige Takte der Rhythmik, gespielt in Anlehnung an den Wolfsmond Titel Für mich ist es Rock’n’Roll.

In diesem Beispiel (obige Grafik) werden im ersten Takt der Figur lediglich Viertel gespielt. Das funktioniert gut. So wie es auch in dem Song Long Cool Woman von den Hollies zu hören ist.

Wie immer wünsche ich viel Freude beim Ausprobieren! Besonders wünsche ich Euch den großen Spaß der dieser ebenso einfachen wie aufregenden Spielweise wiederentdecken zu können.

Christian W. Eggers – 15. Januar 2024 – christian@stompology.org (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 16. Februar 2024)

Bildnachweis: Teaser-Foto „Plattenladen“ Mike Haupt / unsplash.com. Das Original-Foto wurde im Ausschnitt verändert und monochrom getönt.

2 Gedanken zu “Get It On – Vom Blues Riff zum Rock’n’Roll der 70er Jahre

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