Zahlreiche Grooves der Hits des frühen Rock ’n‘ Roll basieren auf der teilweisen Übernahme des Second Line Parade-Styles der New Orleans Brassbands. Die den Groove beherrschenden Press Rolls und die ausklingenden Hi-Hat Becken auf der Zwei und der Vier sind heute nur selten zu hören. In diesem Artikel geht es um diese alte Spielweise, die auf das Drumset übertragen wird.
Mit der Verbreitung des Drumsets ab 1899 und der Gründung der ersten „stationären“ Bands standen New Orleans Drummer vor einer neuen Herausforderung. Das Zusammenspiel der von mindestens zwei Musikern gespielten rhythmischen Figuren der Street-Parade sollte erhalten bleiben und in die neue Zeit der Jazzbands hinübergerettet werden. Komplexe Figuren und Klänge der kleinen Trommel und der Basstrommel mit Becken wurden jetzt durch „den einen Drummer“ erzeugt.
Was bedeutet Second Line?
„Second Line (engl., „zweite Reihe“). Bezeichnet im New Orleans der frühen Jahre die Schar der Jugendlichen, die hinter den Straßenkapellen (Street Bands, Brass Bands oder Marching Bands) hersprangen und -tanzten. Second lining bildete für viele New Orleanser Musiker eine erste wichtige Etappe ihrer jazzmusikalischen Sozialisation.“
Reclams Jazzlexikon
Merkmale der Second Line Grooves
Die charakteristischen Merkmale der afrokubanisch und durch die europäische Marschmusik geprägten Second Line Grooves sind
- das Spiel der Marsch-Basstrommel und des an ihr befestigten kleinen nachklingenden Beckens im Two-Beat, ergänzt durch Double Down Beats;
- das Spiel auf der kleinen Trommel, der Snare, mit der Übernahme von Press Rolls in verschiedenen Kombinationen von Einzelschlägen mit ihren Akzenten sowie
- in 2-taktigen Figuren ein kräftiger Akzent auf der Zählzeit Vier
- alle Achtel-Schläge werden in triolischer Dehnung (also im Swing) gespielt.

Nachfolgend kannst du erfahren, wie diese Spielart umgesetzt werden kann.

Zusammenspiel der Bassdrum und der Hi-Hat
Der Part des kleinen Beckens, in der Parade mit dem Wire Beater gespielt, wird am Set mit dem linken Fuß mit dem „Snowshoe“ oder später mit der Hi-Hat gespielt. Die Marschbasstrommel, zunächst einfach auf den Boden gestellt, wird mit dem rechten Fuß über den Bassdrum Beater geschlagen. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten zu einem modernen Drumset.
Das Ding mit dem „Tsching“
Der Beckenklang der Hi-Hat oder des Snowshoes bleibt jedoch in der Tradition der Brass Bands bestehen. Die Funktion des mit dem Wire Beater („Caot Hanger“) gespielten Beckens auf der Basstrommel, übernimmt der „Snowshoe“ bzw. die Hi-Hat. Die Besonderheit liegt in der Erzeugung von „offenen“ Beckenklängen. Statt des „Tschipp“ der nach dem Aufeinandertreffen geschlossenen Becken, wird das „Tsching“ der aneinander schlagenden Becken durch die sofortige Öffnung des Pedals erzeugt.
When New Orleans drummers use the hi-hat by foot, they like is loud and “double clinging”, stemming from the brass bands coat hangers sound. Very often they let the hi-hat ring out open on the 2nd-4 accent or, during the „out chorus“, on all backbeats.
Antoon Aukes, „Second Line – 100 Years Of New Orleans Drumming“, Seite 32

Das Gerüst des Zusammenspiels von Bassdrum und Hi-Hat bildet die Two-Beat Spielweise mit Double Downbeats, Offbeat-Bassdrums sowie dem Akzent auf der „Vier“ synchron auf dem Becken und der Bassdrum gespielt.
New Orleans Drummer haben Elemente des traditionellen Second Line Drumming im Jazz und später im R&B in zahlreichen Basis-Grooves beibehalten. Ein berühmtes Beispiel für das Anknüpfen an die Spielweises der New Orleans Brassbands ist der Schlagzeugpart in dem Song „I’m Walking“ von Fats Domino.
Einüben der Beinarbeit
Auch wenn Second-Line Grooves als 4/4-Takte im Tow-Beat (Wechsel von Bassdrum und Hi-Hat, Bassdrum auf der 1 und der 3, Hi-Hat auf der 2 und der 4) notiert werden, empfiehlt sich das Einüben entsprechend der afrokubanisch geprägten Schlag-Melodie. Du zählst die ersten drei Bassdrum-Schläge und singst die Melodie: “Eins Zwei Drei ba dam dam“ und so weiter (siehe nachfolgendes Video).
Einüben des Snare Drum Parts
Die hier beschriebene und in den Noten gezeigte Figur (siehe oben) in zwei Takten besteht aus drei Press Rolls im Backbeat (auf 2 und 4) und Achtel-Schlägen im zweiten Takt der Figur auf den Zeiten 3 und 4.
Press Rolls rollen mit einer lockeren Handhaltung, die das Eigengewicht des Sticks nutzt. Von Vorteil sind schwerere Sticks mit runden Köpfen. In dem Video kannst du sehen, wie die linke Hand „rollt“. Sicher geht das alles noch besser, aber das Prinzip wird deutlich. Die einzelnen Achtel im zweiten Takt sollten etwas “hüpfen”, so dass ein tirolisches Gefühl entsteht.
Kann die historische Spielweise auch in den Rock ’n‘ Roll übernommen werden?
Stelle dir vor, deine Band will „Memphis, Tennessee“ von Chuck Berry einüben und du spielst den Groove „Second lining“. Also, mit Press Rolls, Double Downbeats und dem „double clinging” der Hi-Hat. Das klingt aufregend und groovt enorm. Vielleicht mögen das die Musikerinnen und Musiker deiner Band und lassen sich auf das Alte als etwas Neues ein.
Christian W. Eggers, letzte Akualisierung dieses Beitrags am 11. November 2021 – christian@stompology.org
Quellen:
- Reclams Jazzlexikon (Reclam)
- Second Line – 100 Years Of New Orleans Drumming, Antoon Aukes (C. L. Barnhouse)
- STICKS – Die Geschichte des Schlagzeugs im Überblick, Timo Ickenroth, https://www.sticks.de/stories/die-geschichte-des-schlagzeugs/