New Orleans Drumming – Von der Brassband zum Rock ’n‘ Roll

Stelle dir vor, du spazierst etwas müde an einem langweiligen Sonntagnachmittag durch die Straßen deines Viertels. Aus der Ferne hörst du Blasinstrumente und Marschtrommeln. An einer Kreuzung zieht jetzt eine seltsame Parade vorbei: eine Blechkapelle (Brassband) „Bum-Tsching-Bum-Tsching, Bum-Tsche-bum Tsching“, gefolgt von einer tanzenden Gesellschaft (Second Line), bunt gekleidet, Tücher und Schirme werden geschwenkt. Wer nichts zum Schwenken dabei hat, klatscht einfach im Rhythmus mit.

Beschwingten Schrittes, ein wenig „second lining“, gehst du nach Hause. Wenn du nicht das Glück hattest, einer guten Brassband zu begegnen, dann kann dich dieses Hörbeispiel vielleicht jetzt in das Second Line Feeling bringen.

Dejan’s Olympia Brass Band New Orleans

Kurze Geschichte zum Second-Line Drumming

Second-Line Drumming geht auf das Zusammenspiel eines Snare Trommlers und eines Marching-Bassdrum Trommlers zurück. Auf der Snare wurden ursprünglich aus der Militärmusik übernommene Pressrolls und Rudiments gespielt. Das Spiel auf der Marching- Bassdrum, aufgerüstet mit einem kleinen Becken, sorgt für ein afrokubanisches Flair.

Waren und sind Brassband Paraden meist in New Orleans zu Festen (Mardi Gras) und Beerdigungen von Jazz Musikerinnen und Musikern anzutreffen, ist das  Second-Line Feel über New Orleans hinaus verbreitet. Mit der Zusammenführung der Second-Line Beats auf einen Musiker am Drumset entstand das rhythmische Fundament für den Jazz und in den 50er Jahren für die Stilrichtung „New Orleans R&B“.

Second-Line Grooves am Set

Einen großen Hit hatte 1957 Fats Domino mit „I‘m Walking“. Schlagzeuger Earl Palmer war als Second-Line Spezialist an der Verbreitung des „Second-Line Grooves“ maßgeblich beteiligt. Den Song kannst du hier anhören.

„Palmer was one of the most prolific studio musicians of all time and played on thousands of recordings, including nearly all of Little Richard’s hits, all of Fats Domino’s hits, „You’ve Lost That Lovin‘ Feelin'“ by The Righteous Brothers, and a long list of classic TV and film soundtracks. According to one obituary, „his list of credits read like a Who’s Who of American popular music of the last 60 years“.

Wikipedia über Eral Palmer

Neben Antoon Aukes und Johnny Vidacovich beschäftigen sich heute nur wenige weitere Musiker mit der historischen Spielweise, die auf das Set übertragen wird. Wenn sie es jedoch tun, dann meist sehr leidenschaftlich. Das Video zeigt Johnny Vidacovich, die historische Spielweise eines Second-Line Groove am Set ab Minute 1:55 demonstriert.

https://www.youtube.com/watch?v=woprPaIX9dA

Charakteristik der Second-Line Grooves

Die charakteristischen Merkmale der afrokubanisch und durch die europäische Marschmusik geprägten Second Line Grooves sind

  • das Spiel der Marsch-Basstrommel und des an ihr befestigten kleinen nachklingenden Beckens im Two-Beat, ergänzt durch Double Down Beats;
  • das Spiel auf der kleinen Trommel, der Snare, mit der Übernahme von Press Rolls in verschiedenen Kombinationen von Einzelschlägen mit ihren Akzenten sowie
  • in 2-taktigen Figuren ein kräftiger Akzent auf der Zählzeit Vier
  • alle Achtel-Schläge werden in triolischer Dehnung (also im Swing) gespielt.
Beispiel für den Part der Bass-Marschtrommel mit Becken: Two-Beat Spielweise mit Double Down Beat auf der Vier im zweiten Takt

Das Notenbild (nachfolgende Abbildung) zeigt eine binäre Darstellung. In der Umsetzung am Drumset ist ein „triolisches Gefühl“ wichtig, damit der Groove sein Second-Line Flair behält.

Schlagzeug-Noten New Orleans Drumming
Wie es begann und wo es alles her kommt.

Tipps zum Einüben

  • Einen Einstieg in die Spielweise, kannst du dir gut verschaffen, indem du die Melodie der Bassdrum und der Hi-Hat zunächst mit den Händen trommelst (siehe Video „Wire Beater“ oben).
  • Das Fundament ist der Two-Beat. Bleibe dem Wechsel zwischen Bassdrum und getretener Hi-Hat mit einem etwas hüpfenden Gefühl treu. Dieses „triolische“ Gefühl wirkt sich auf den Schwung der einzelnen Schläge enorm aus. Die Bassdrum Offbeats (2-Und) klingen nicht zu „straight“, wenn sie in der Two-Beat Spielweise Luft für den oben gezeigten Double Downbeat behalten.
Spielweise des Basis-Grooves im New Orleans R&B Stil. Etwas „gerader“ als der Ursprungs-Groove der Brassbands.

Eine rockige Version dieses Grooves wurde 1973 mit dem Song Ballroom Blitz der Glam Rock Band The Sweet berühmt.

Der Wire Beater

Den speziellen „scharfen“ Beckenklang der historischen Spielweise erzeugt der Wire Beater. Es lohnt sich, damit ein wenig zu experimentieren und vielleicht kommen damit auch Ideen, diese Klänge am Drumset umzusetzen.

Basstrommel, ein kleines Becken, Schlägel mit Filzkopf und natürlich den Wire Beater: Die Ausrüstung des Brassband Basstrommlers.

Da ich einen Wire Beater („Coat Hanger“) nicht im Handel gefunden habe, war eine Bastelstunde notwendig. Eine Bauanleitung für einen Wire Beater findest Du hier. Viel Spaß beim Ausprobiern, Üben und Experimentiern! Kritik und Anregungen wie immer willkommen unter christian-w-eggers (at) t-online.de

(Letzte Aktualisierung dieses Beitrags am 11. November 2021)

Quellen:

  • Second Line – 100 Years Of New Orleans Drumming, Antoon Aukes (C. L. Barnhouse)
  • Handbuch der populären Musik (Schott)
  • Reclams Jazzlexikon (Reclam),
  • Wikipedia über Earl Palmer
  • The Commandments Of Early Rhythm And Blues Drumming, Daniel Glaas, Zoro