Ein professioneller Voll-Röhren-Vorverstärker für das Studio aus neuerer Produktion hat seinen hohen Preis. Erst recht ein professionell restaurierter Röhren-Preamp aus den 50er Jahren. Wie man dennoch eine digitale Gesangsspur mit günstiger Röhren-Technik aus den 50er Jahren ein wenig mehr analoges Leben einhauchen kann, beschreibt dieser Artikel.
In professionellen Tonstudios hat er seinen festen Platz: der Röhren-Vorverstärker für Gesangsaufnahmen. Gemeint sind nicht die kleinen Transistor-Vorverstärker in denen eine einsame Röhre glimmt und von denen man auch nach gründlichen Vergleichen nicht so recht weiß, ob diese „Hybrid-Verstärker“ eigentlich tatsächlich den Klang in die gewünschte Richtung zu dem meist als „warm“ und „musikalisch“ beschriebenen Röhrensound wenden.
Glücklich können sich die Musiker und Musikerinnen schätzen, die ein funktionierendes (!) Röhren-Tonbandgerät besitzen oder ergattern können.
Einige dieser Geräte können recht einfach als Vorverstärker für Mikrofonaufnahmen genutzt werden. Das hier gezeigte Gerät wurde für 40 Euro erworben. Die Instandsetzung der Elektronik durch einen Fachmann kostete freundschaftliche 80 Euro.
Und da steht nun nicht nur ein Tonbandgerät, sondern auch ein echter Röhrenverstärker aus den 50er Jahren. Warum nur kommt die Idee, das Ding als Vorverstärker für digitale Aufnahmen zu nutzen so spät?
Rein digitale Aufnahme von Gesang
Man nimmt nur Gutes der aktuellen Aufnahmetechnik für das Homestudio.
Ein „amtliches“ Interface mit einem sauber arbeitenden Vorverstärker für Mikrofone , einen leistungsstarken Computer mit aktueller Aufnahmesoftware und vielleicht auch noch ein im vierstelligen Bereich angesiedeltes Großmembran-Mikrofon.
Und? Es wird perfekt sein! Aber irgendwie klingt es „digital steril“.
Abhilfe mittels des Verstärkers eines alten Bandgerätes
Nicht nur zum Hören und Aufnehmen von Tonbändern eigenen sich Tonbandgeräte. Zur Veredelung von fertigen digitalen Aufnahmen eignen sich Bandgeräte hervorragend.
Unbeachtet bleibt häufig eine Funktion, die zur Aufnahme digitaler Gesangsspuren dienen kann. Man nutzt einfach das Tonbandgerät allein zur Vorverstärkung des Gesangsmikrofons.
Das durch Röhrentechnik des Bandgerätes verstärkte Mikrofonsignal wird in den Line-Eingang des Interface gegeben und schon kann die Aufnahme-Software des Computers ein wenig „echten Röhren-Sound“ einfangen.
„Passende“ Mikrofone
Für den direkten Anschluss eines Mikrofons an das Röhrentonbandgerät wird ein hochohmiges Mikrofon benötigt. Neuere Mikrofone sind meist niederohmig. Abhilfe können hier sogenannte Übertrager schaffen (siehe übernächstes Foto).
Geeignetes Tonbandgerät
Das Vorhaben „Tonbandgerät als Mikrofon Preamp“ funktioniert nicht mit jedem beliebigen Consumer-Tonbandgerät der frühen Jahre. Aber schon ein beispielsweise über Kleinanzeigen und eBay günstig zu erwerbendes Telefunken Magnetophon KL85 kann es. Vorausgesetzt, die Elektronik ist technisch einwandfrei. Auch wenn der einwandfreie Original-Zustand vom Verkäufer behauptet wird, sind zumindest zahlreiche Kondensatoren zu erneuern.
Wer etwas tiefer in die Tasche greifen möchte, kann ein Revox G36 erwerben und sich nach der Instandsetzung entspannt zurücklehnen. Die Dinger halten dann nochmals 60 Jahre.
Anschlüsse und Verkabelung
Meist verfügen die „Oldie-Kisten“ über einen Mikrofon-Eingang, einen Ein- und Ausgang mit der Bezeichnung Radio, einen Eingang für Plattenspieler (Phono) und einen Kopfhörer-Ausgang. Zum Anschließen des Gerätes als Vorverstärker eines Mikrofons gilt: Versuch macht klug.
Zunächst ist das Tonbandgerät auf Mikrofonaufnahme zu schalten und ein hochohmiges Mikrofon mit dem Mikrofoneingang zu verbinden.
Nachfolgende Fotos zeigen die für den hier dargestellten Versuch genutzten zwei notwenidgen Verkabelungen.
Mit dem zweiten Schritt ist das Ausgangssignal des Bandgerätes mit dem Computer-Interface zu verbinden. Im gezeigten Beispiel mit dem Telefunken KL85 stellte sich heraus, dass die Radio-Buchse kein Ausgangssignal bei Stillstand des Bandtransportes liefert. Aber gegen alle Erwartungen liefert der Kopfhörer-Ausgang ein nutzbares Signal ohne Verzerrungen und Störgeräusche. Damit ist es möglich dieses Signal mit dem Line-Eingang eines Interface zu verbinden und mit dem Computer aufzunehmen.
Aussteuerung des Gesangsmikrofons
Wie bei einem reinen Röhrenvorverstärker kann jetzt über die Aussteuerungsregelung am Röhrengerät der Output des Mikros bestimmt werden. Im Beispiel ist der Pegel mittels des „magischen Auges“ (einer Röhre) sichtbar. Berühren sich die beiden grünen Flächen, ist das Signal übersteuert. Auch hier lohnt sich das ausprobieren. So sind etwa Aufnahmen einer Bluesharp mit leichten Röhren-Übersteuerungen keinesfalls unangenehm für das menschliche Ohr (höre Audio-Beispiel am Ende dieses Artikels).
Für den Aufnahmepegel des Computers wird der Input-Regler („Gain“) des Verstärkers des Interface genutzt. Im Zusammenspiel mit der Pegeleinstellung des Röhrengerätes und der des Interface lassen sich interessante Sounds erzeugen.
Nachbearbeitung und wie der Gesang klingt
Im Beispiel wurde der Gesang am Computer lediglich noch mit einer Retro-Hall-Simulation bearbeitet. Das nachfolgende Foto zeigt das Werkzeug TAL-Reverb-2, das in die Aufnahme-Software Audacity integriert wurde.
Auf weitere Bearbeitungen wurde verzichtet. So könnt Ihr genauer hören, wie Mikrofon und Vorverstärker klingen. Für das Beispiel-Audio wurde eine dreistimmig gesungene kurze Stelle am Ende des Aufnahme-Schnipsels einbezogen. Die drei Stimmen sind unter den gleichen Bedingungen aufgenommen und lediglich mit der Hall-Simulation bearbeitet.
Hörbeispiel 30 Sekunden
Hier also ein kurzer Schnipsel aus dem Song „Geld oder Leben“, aufgenommen mit der oben beschriebenen Technik und Konstellation. Wie immer eingespielt von der stompology.org Hausband, den Wave Stompers aus Kiel. 🙂
Ich wünsche viel Spaß beim Experimentieren sowie Anregung und Mut zum Basteln an Eurem Sound mit analoger Technik.
Christian W. Eggers – christian@stompology.org – 16. Dezember 2023 (letzte Aktualisierung dieses Beitrags am 31. Dezember 2023)
Vielen Dank Anonymous!
Den Xotic es-booster habe ich mir im Internet soeben angeschaut. Das hat was, laut der vielen Kommentare der Nutzer. Danke für den Tipp. Ein so kleines Gerät ist zu dem auch praktisch. Wenn ich mir überlege, was für Ungetüme an Technik sich mit der Zeit anhäufen, dann graut mir schon jetzt davor eines Tages meine Musik in einer Residenz für Rentner aufnehmen zu wollen. 🙂
Auf zu neuen Ufern. Fernab der reinen Rythmus- und Schlagzeugbeiträge, ist die Klanggestaltung ebenso bildhaft dargestellt.
Sehr schön! – Die Idee die Vorverstärker von Bandgeräten als Vorverstärker zu nutzen findet sich bei einigen Gitarristen, die den PreAmp des Echoplex oder Rotchina Blackmore der seine Marshall Verstärker mit dem Vorverstärker eines AIWA TP1011 Tonbandgerätes „vorwärmte“. Freilich sind das keine Röhrengeräte und das Ansinnen ist etwas anders, aber es belegt den klassischen Gedanken, das Bandgeräte durchaus tolle und brauchbare Vorverstärker besitzen, die genutzt werden wollen. Vielleicht einer der Gründe, warum es teilweise die Preamps auch heute im Nachbau gibt .. mein Tipp der Xotic es-booster un die reisten Version.
Aber das ist eine andere Geschichte die ein anders mal erzählt werden soll. 🙂