Berühmte Grooves – „Everyday I Have The Blues“

Als der Boogie Woogie Pianist Aaron „Pinetop“ Sparks wenige Monate vor seinem Tode an einem Sommertag 1935 in Chicago einen schlichten Bluessong mit dem Titel „Everyday I Have The Blues“ aufnahm, war wahrscheinlich weder Sparks noch den Inhabern des Plattenlabels Bluebird Records bewusst, dass dieser Titel einmal die Manifestation des Blues selbst werden sollte.

Vielleicht verdankt dieser Song seine Bedeutung dem Text, der mit einem Anflug von fatalistischem Humor mit wenigen Worten die Einsamkeit beschreibt. Sicher trug die eingängige Melodie „Everyday, everyday I have the blues“ dazu bei, dass dieser Song mit zahlreichen Veröffentlichungen berühmter Jazz- und Bluesmusiker zu einem der meistverkauften Bluessong aller Zeiten avancierte. Heute ist er ein Swingstandard, der nur selten im Repertoire einer Big Band fehlt.

„Count Basie Swings,  Joe Williams Sings“

Zwanzig Jahre nach Erscheinen der Originalversion leitete der exzentrische Jazz-Liebhaber und Produzent Norman Granz 1955 mit Aaron Sparks Song die Rückkehr des Big Band Swing ein. Unter seinem Label „Clef“ veröffentlichte Granz die Single „Every Day (I Have The Blues)“ des Count Basie Orchestra mit Joe Williams als Sänger. Das Arrangement wurde mit seiner zwanzigwöchigen R&B Chart Platzierung ein Hit. Das war überraschend, weil Basies Version im moderaten Tempo mit der wenig radiokompatiblen Länge von fast fünfeinhalb Minuten, seinen ausschweifenden Intros und den von Ernie Wilkens aufwendig arrangierten Bläsersätzen einen Gegensatz zum gerade modern werdenden Rock’n‘ Roll bildete.  Auch entsprach Joe Williams mit seiner warmen Stimme weniger dem Zeitgeist, der den „geradeaus“ Blues Shouter verlangte.

Der große Erfolg der Zusammenarbeit von Count Basie mit Joe Williams setzte sich mit dem Album „Count Basie Swings,  Joe Williams Sings“ fort. Es brachte nach finanziellen Engpässen Basie und seine Band zurück in die Öffentlichkeit und es markiert einen Höhepunkt der  Schaffensphase, deren Kompositionen und Aufnahmen als „The New Testament“ des Count Basie Orchestra (1952-1984) bezeichnet werden.

Wenn heute Worte der Musikwissenschaft nicht ausreichen das Phänomen Swing verständlich zu machen, wird häufig empfohlen „Every Day“ von Count Basie anzuhören.

Arrangement

Arrangeur Ernie Wilkins unterteilte den Song in einen instrumentalen und einen nachfolgenden von Joe Williams gesungenen Teil.

Count Basies Einleitung am Piano besteht in einer sechs Takte langen Shuffle Figur, die dem  Thema des Songs „My Baby Just Cares For Me“ von 1928 gleicht. Nach diesem sparsamen Einstieg setzt auf der „Eins“ die gesamte Band mit Energie zu einem zweiten Intro über vier Takte ein.

Die Takte Drei und Vier dieses Bandintros beinhalten einen energetisch wuchtigen Schlagzeug Fill, welcher in die nachfolgenden zwei 12-taktigen Blues Chorusse mit ihren zahlreichen Bläserakzenten überleitet.

Um die Achterbahnfahrt bis zum Einsatz des Gesangs abzurunden, folgt ein in der Dynamik zurückgenommenes Zwischenspiel über acht Takte. Hier entsteht der Eindruck einer Verlangsamung des Tempos, wobei dieses tatsächlich konstant bleibt (siehe unten „Zwischenspiel“).

Der Groove des Songs basiert auf einem konsequenten Four Beat. In den acht Takten des Zwischenspiels ist davon abweichend ein Two Beat die rhythmische Basis. Der an das Zwischenspiel anknüpfende Gesangsteil baut sich im Verlauf von acht Blues Chorussen durch verschiedene mit einander verwobenen Bläser Riffs und zahlreichen Akzenten dann wieder zu der rhythmischen Intensität des Band-Intros auf. Der Drum Part ist im Gesangsteil auf das Timekeeping beschränkt und endet mit einem über zwei Takte ausgedehntem Outro.

Die nachfolgende Transkription zeigt den Drum-Part einschließlich des Zwischenspiels (siehe unten) bis zum Einsatz des Gesangs.  

Das Spiel von Drummer Sonny Payne ist verankert im Arrangement der Bläsersätze mit ihren Akzenten. Dabei ist der Fluss fokussiert auf die moderat voranschreitenden Viertel synchron zum „Walking Bass“ und zur Gitarre. Dieser Groove ist ein Meisterstück des 4/4 Swing, der Feuer und Entschlossenheit mit einer dem Swing typischen Entspanntheit verbindet.

Zwischenspiel

Das acht Takte lange Zwischenspiel, welches zum Einsatz des Gesangs überleitet, charakterisiert die überraschende rhythmische Verwandlung des Four Beat (auf allen vier Pulsschlägen durchgespielte Bassdrum) in einen Two Beat (Bassdrum auf 1 und 3, getretene Hi-Hat auf 2 und 4). Diese Spielweise wird durch zusätzliche Bassdrum-Impulse auf der „Zwei-Und“ und der „Vier-Und“ ergänzt, was an den „Double Drum Style“ der New Orleans Brass Bands erinnert. Wichtig ist auch hier, dass dem Spiel ein triolisches Zeitgefühl zu Grunde liegt und die Achtel der Bassdrum nicht „straight“ interpretiert werden. In der Dynamik bleiben Becken und Snare stark zurückgenommen und an dieser Stelle ist die Bassdrum das lauteste Instrument des Sets.

Spielweise

Das Big Band Drumming ist sowohl technisch wie auch musikalisch eine der größten Herausforderungen, der sich ein Schlagzeuger stellen kann. Anders als in den bisher hier beschriebenen berühmten Grooves, in denen es um das Timekeeping auf der Grundlage einer meist zweitaktigen und leicht zu behaltenden Figur geht, besteht die Aufgabe eines Big Band Drummers darin, die Band durch das Arrangement zu führen.

Der Groove swingt nicht so sehr im „bouncy feel“ aus der Kombination von Triolenachteln, sondern mehr aus der Basis der Viertel, die weich und rund fließen.

Der erste Chorus enthält eine über sieben Takte stringente Offbeat Phrasierung  auf der Zählzeit „Zwei-Und“. Dabei klingt das gecrashte Ridebecken  auf der Zählzeit „Drei“ aus. Die „Zwei-Und“ begleitet die Akzente der Trompeten und Posaunen Sectionen. Das Ride-Becken sollte nur leicht „angecrasht“ werden und die Schärfe der Phrasierung des Offbeats über den Snare-Schlag erfolgen.

Mehr noch als in den bisher hier gezeigten Spielweisen und Grooves sollte die Bassdrum, abgesehen von Bassdrum Akzenten und dem Zwischenspiel, mehr spürbar als hörbar sein. Eine Gedächnisstütze für das lockere und leise Spiel bietet die Vorstellung, man lasse den Fuß einfach zum Takt mitwippen.

Der Drummer – Sonny Payne

Sonny Payne hatte die Voraussetzungen als einer der bedeutesten Drummer des Jazz in die Musikgeschichte einzugehen und in einem Atemzug mit Gene Krupa und Buddy Rich genannt zu werden. Populär wurde Payne jedoch erst in den 50er Jahren einem kleiner werdenden Kreis der treuen Hörerschaft des Big Band Swing.

Payne galt als der rhythmische Motor  von Count Basie, dessen Big Band er durchgehend von 1955 bis 1965 angehörte. Sein Leben lang, bis auf wenige Ausflüge, blieb Sonny Payne dem Big Band Swing treu. Er spielte auf  Tourneen von Frank Sinatra und bis in die 70er Jahre in der Big Band von Harry James. In einer 5er Besetzung ist Payne mit der Aufnahme „Clap Hands, Here Comes Charley“ in dem Drummer Sampler „More Drums On Fire“, einer LP von 1959 zu hören.  

Paynes Vater,  Joe „Chris Columbo“ Morris, einer der Drummer der Louis Jordan Band, gilt als ein Wegbereiter des R&B Drumming. Das Schlagzeugspiel erlernte Payne jedoch bei Vic Berton, einem vielseitigen Jazz-Musiker, Philharmoniker und Entwickler von Hi-Hat Maschinen. Neben seinem tiefgründigen Gespür für den swingenden Puls verfügte Payne über ein Showtalent, das er gelegentlich mit witzigen akrobatischen Einlagen in sein Spiel einbrachte.

Wie sehr Paynes spannungsreiches Spiel dem Dienst der  Kompositionen und den Arrangements verschrieben war, ist deutlich in dem Album „Count Basie Swings, Jo Williams Sings“ von 1956 zu hören. Paynes Liebe galt einer Stilrichtung, die in seiner Generation schon altmodisch war. Dennoch war er als Swing Musiker ein moderner  Drummer, dessen gefühlvoller Minimalismus zahlreiche Rockschlagzeuger inspirierte. 

Quellen: All that Jazz (Reclam), Handbuch der populären Musik (Schott), Reclams Jazzlexikon (Reclam), Every Day I Have The Blues Paritur – Annual Essentially Ellington High School Jazz Band Program (jazz at lincoln center)