Im österreichischen Fieberbrunn hat es sich ein junges Team zur Aufgabe gemacht, die Werke internationaler Künstlerinnen und Künstler nach Bestellung auf Vinyl zu bannen. Im Interview mit stompology.org berichtet Mitinhaber des dr.dub vinyl recording service Markus Waltl über das Pressen von Schallplatten im Zeitalter des Musik-Streamings.

stompology: Markus, zunächst herzlichen Dank für die spontane Zusage für dieses Interview.
Im Jahr 2010, also zum Gründungsjahr des dr.dub vinyl recording service, wurden in Deutschland lediglich noch fünfhunderttausend Langspiel-Schallplatten verkauft. Demgegenüber stand laut Wikipedia der Verkauf von knapp 99 Millionen CDs in Deutschland. Heute ist die Vinyl-Schallplatte wieder angesagt. So soll der Umsatz durch den Verkauf von Schallplatten den der CDs im Jahr 2022 sogar übertroffen haben.
Wie seid Ihr damals auf die Idee gekommen ausgerechnet Schallplattenpressungen als Dienstleister anzubieten?
Markus: Das mit 2010 ist so nicht ganz richtig – Dr.Dub gibt’s schon seit 2003. Angefangen hat das alles mit einer „Saufidee“ von den Gründern Mex & Nik. Nik hatte einen Hintergrund im Reggae/Soundsystem Bereich, in denen oftmals „Dubplates“ verwendet werden. Eine Dubplate ist eine Lackfolie, die nur einmal bzw. in sehr geringen Stückzahlen hergestellt wird. Daher auch der Name „Dr. Dub“.
2018 haben wir (Andy & Markus) dann Dr. Dub übernommen und ausgebaut. Mittlerweile kann man eine Platte mit Coverdruck, Labeldruck und Picturedisc im Onlineshop umfassend selbst gestalten.

stompology: Wo und wie habt Ihr Euch das Wissen und Können zur Schallplattenherstellung angeeignet?
Markus: Eine wirkliche Ausbildung gibt’s für die Herstellung bzw. den Schnitt von Platten nicht (mehr). Vieles davon basiert auf altem, teilweise verloren gegangenem Wissen, welches man sich selbst wieder erarbeiten muss.
Bei der Übergabe 2018 haben uns die beiden Gründer umfassend eingeschult, aber vieles muss man einfach selbst herausfinden. Andy hat einen Hintergrund als Elektrotechnikingenieur und auch (ich) Markus bin mit Musik und Elektrotechnik aufgewachsen. 2020 ist noch Hannes zu unserem Team hinzugestoßen – er war mit Andy in der Vergangenheit in einer Band.
Am wichtigsten sind ein analytisches Gehör und der Wille, dauernd etwas Neues zu lernen. Andere hilfreiche Formate sind z. B. das Forum lathetrolls.com, in dem sich „Lathe Freaks“ weltweit über das Cutten von Schallplatten austauschen.
Wir versuchen immer, dass die Platte möglichst nah ans Ausgangsmaterial herankommt aber trotzdem wird eine Platte immer ihren eigenen Charakter haben. Und das ist auch gut so!
stompology: Ich kenne CDs, die nicht gut klingen, aber auch Schallplattenpressungen, die grausam klingen. Was macht für Dich und Dein Team eine gelungene Vinyl-Pressung aus?
Markus: Das Wichtigste für eine gelungene Pressung ist das Ausgangsmaterial. Man muss beim Mastern auf die physikalischen Limits einer Schallplatte achtgeben. Material, welches durchgehend am Limiter (Stichwort: Loudnesswar) ansteht, wird auf Schallplatte meist nicht gut klingen. Grundsätzlich ist es so, dass die Gegebenheiten einer Platte das Material immer verändern.
Wir versuchen immer, dass die Platte möglichst nah ans Ausgangsmaterial herankommt aber trotzdem wird eine Platte immer ihren eigenen Charakter haben. Und das ist auch gut so!
stompology: Ihr bekommt ja zunächst Songs als Datensatz. Wie stark müsst Ihr dieses Daten bearbeiten, damit sie auf Platte gut klingen?
Markus: Im Optimalfall müssen wir fast nichts bearbeiten – das ist aber selten. Tools, die wir oftmals nutzen, umfassen Monofilter (Stereokorrelation, vor allem im Bassbereich muss im Auge behalten werden), De-Essing bei Zischlauten von Stimmen und Kompression/Equalizing und spezielle Filter, welche für das Vinylmastering ideal sind.
Das Ganze passiert teilweise in der DAW (DAW steht für Digital Audio Workstation; Anmerkung der Redaktion), aber viel auch mithilfe unserer externen Geräte in der Signalkette „Outboard“. Je nach Plattenformat, RPM und Spiellänge einer Plattenseite müssen auch die Songs mit dem entsprechenden Pegel geschnitten werden. Starke Pegelausschläge im Ausgangsmaterial müssen dabei auch immer berücksichtigt werden und ggf. angepasst werden, damit der passende Rillenabstand eingehalten wird.
Ein ganz wichtiger Bestandteil beim Disc-Recording ist außerdem, dass im Vorverstärker des Schneidkopfes die RIAA Schneid-Kennlinie angewendet wird (eine genormte EQ Kurve), damit die Frequenzen physikalisch so effizient wie möglich in der Rille untergebracht werden können. Deshalb benötigt man beim Abspielen auch wieder einen Phono-Vorverstärker.

stompology: Was ist aus Deiner Sicht bei der digitalen Vorarbeit einer Künstlerin oder eines Künstlers das Wichtigste, damit die Aufnahme auch als Schallplatte gut klingt?
Markus: Wie soeben erwähnt, macht es Sinn, wenn das Material nicht auf maximale Loudness gedrillt wird, sondern noch Dynamikumfang beibehält. Was auch Probleme macht, sind zu starke Stereoeffekte/Phasing unter ca. 300hz, sowie unausgeglichene exzessive Höhenanteile (z. B. Cymbals, S-Laute).
Der Anteil von Frequenzen ab ca. 12khz-15khz sollte nach oben hin abnehmen und nicht zunehmen (Low Pass). Songs mit vielen Höhenanteilen oder viel „Lärm“ gehören an den Anfang der Platte. Je weiter man ins Innere kommt desto stärker hörbar werden Verzerrungen, da die Rille mit abnehmendem Durchmesser der Platte immer mehr „gestaucht“ wird und eine verlustfreie Abtastung vom Tonabnehmer schwieriger wird. Hochwertige Tonabnehmer/Nadelschliffe sind da überlegen und gleichen diesen Nachteil oft gut aus, aber es soll ja möglichst auf jedem Turntable gut klingen!
Auch Band hat genau wie Vinyl seine Grenzen, welche aber für das menschliche Gehör als sehr angenehm empfunden werden.
stompology: Ich hatte Euch zwei meiner Songs zur Pressung geschickt (Erfahrungsbericht). Diese Songs hatte ich vor der endgültigen Digitalisierung mit einer Bandmaschine gemastert. Die Idee war dabei den Sound „analoger“ zu machen. Esoterischer Quatsch oder „eine gute Idee!“?
Markus: Auch ein Magnetband hat Limits und Bandsättigung, daher kann es durchaus Sinn machen, vor dem digitalen Mastering noch analog zu mastern, da man dann auch bereits in die „Schranken“ des analog Möglichen geleitet wird.
Auch Band hat genau wie Vinyl seine Grenzen, welche aber für das menschliche Gehör als sehr angenehm empfunden werden. Analoge Geräte fügen zusätzlich eine „Färbung“ des Klangs hinzu, die oftmals sehr harmonisch klingen kann.
Wenn es natürlich um die klinische Reinheit und Klangtreue geht, ist jeder Eingriff mit analogen Geräten destruktiv. Aber dann kann man auch direkt CDs oder digitale High-Res Dateien hören.
stompology: Ich besitze eine original Single von Bill Haley „Rock Around the Clock“. Wenn ich sie heute höre, dann klingt sie im Sound und im Mono-Mix immer noch so frisch wie es damals und in allen darauffolgenden Jahrzehnten klang. Welches Geheimnis mag dahinterstecken?
Markus: Platten haben gegenüber anderen analogen Formaten wie Kompaktkassetten den Vorteil, dass ihr Verschleiß geringer ist, wenn man sie richtig behandelt. Sie bestehen aus dickem PVC und können bei guter Lagerung ewig halten, während Kassetten aus dünnem, magnetisiertem Kunststoff bestehen, der weniger langlebig ist.
Eine Platte ist ein einfaches, bewegungsloses Objekt ohne komplizierte Teile oder Elektronik, was die Wahrscheinlichkeit von Schäden verringert.
Solange das Rillenmuster intakt ist, bleibt sie funktionsfähig. Im Gegensatz dazu unterliegt der Tonabnehmer einem gewissen Verschleiß, da die Nadel und der Gummi im Nadelträger im Laufe der Jahre abnutzen.
stompology: Warum glaubst du werden im Jahr 2024 noch Schallplatten gehört?
Markus: Eine Schallplatte ist natürlich im Zeitalter von Streaming usw. sehr viel umständlicher und schwieriger in der Handhabung und auch viel kostenintensiver.
Der Aufwand zahlt sich aber unserer Meinung nach aus, da man eine Schallplatte wirklich selbst besitzt und die Audiodateien nicht auf einem Server einer großen Corporation liegen. Zusätzlich hört man viel bewusster und aufmerksamer zu, wenn man ein Album auf den Plattenteller legt und sich die Zeit nimmt, dieses als Ganzes durchzuhören.
In unserer schnelllebigen, medienüberfluteten Welt ist es selten geworden dass man sich eine Stunde für eine Sache Zeit nimmt. Da ist eine Platte ähnlich wie ein gutes Buch und ein gutes Gegenmittel gegen unsere immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen.
stompology: Auf Eurer Website ist zu sehen, dass wirklich aus fast allen Musikgenres Aufträge zur Pressung kommen. Also, von Nostalgikern bis hin zum Rave-Festival DJ. Welche Musikrichtungen machen Dir persönlich Spaß und hörst Du privat auch Schallplatten? Oder ist man froh, wenn nach Feierabend endlich mal Ruhe ist?
Markus: Wir besitzen alle privat auch Platten, die wir gerne hören. Unser zweiter Mitarbeiter Benni hat zuhause eine Plattensammlung von ca. 8000 Stück von Abba bis Zappa. Allgemein sind wir hier in den Dr.Dub Studios am ehesten im Rock/Blues/Psychedelicrock/Stonerrock-Bereich angesiedelt. Aber auch viele Electronic, Trip-Hop und Reggae Alben stehen herum.
stompology: Vielen Dank für dieses ausführliche und informative Gespräch! Ich wünsche Dir und Deinem Team weiterhin Freude an Eurer Arbeit und viele interessante Momente beim Herstellen der „magischen Scheiben“.
Das Interview wurde schriftlich geführt. Die Fragen stellte Christian W. Eggers – 11. Oktober 2024 – christian@stompology.org- (letzte Aktualisierung am 17. Oktober 2024). Die Fotos in diesem Beitrag wurden vom dr.dub recording service zur Verfügung gestellt.










