Der Schallplattenmacher aus Tirol – Ein Interview mit Dr. Dub über das Pressen von Vinyl- Tonträgern

Im österreichischen Fieberbrunn hat es sich ein junges Team zur Aufgabe gemacht, die Werke internationaler Künstlerinnen und Künstler nach Bestellung auf Vinyl zu bannen. Im Interview mit stompology.org berichtet Mitinhaber des dr.dub vinyl recording service Markus Waltl über das Pressen von Schallplatten im Zeitalter des Musik-Streamings.

Der dr.dub recording service verfügt inzwischen über vier Studios zur Herstellung von Vinyl Tonträgern

stompology: Markus, zunächst herzlichen Dank für die spontane Zusage für dieses Interview.

Im Jahr 2010, also zum Gründungsjahr des dr.dub vinyl recording service, wurden in Deutschland lediglich noch fünfhunderttausend Langspiel-Schallplatten verkauft. Demgegenüber stand laut Wikipedia der Verkauf von knapp 99 Millionen CDs in Deutschland. Heute ist die Vinyl-Schallplatte wieder angesagt. So soll der Umsatz durch den Verkauf von Schallplatten den der CDs im Jahr 2022 sogar übertroffen haben.

Wie seid Ihr damals auf die Idee gekommen ausgerechnet Schallplattenpressungen als Dienstleister anzubieten?

Das Team: Andy Eppensteiner, Markus Waltl, Hannes Eubling und Benni Ortner

stompology: Wo und wie habt Ihr Euch das Wissen und Können zur Schallplattenherstellung angeeignet?

Wir versuchen immer, dass die Platte möglichst nah ans Ausgangsmaterial herankommt aber trotzdem wird eine Platte immer ihren eigenen Charakter haben. Und das ist auch gut so!

stompology: Ich kenne CDs, die nicht gut klingen, aber auch Schallplattenpressungen, die grausam klingen. Was macht für Dich und Dein Team eine gelungene Vinyl-Pressung aus?

stompology: Ihr bekommt ja zunächst Songs als Datensatz. Wie stark müsst Ihr dieses Daten bearbeiten, damit sie auf Platte gut klingen?

stompology: Was ist aus Deiner Sicht bei der digitalen Vorarbeit einer Künstlerin oder eines Künstlers das Wichtigste, damit die Aufnahme auch als Schallplatte gut klingt?

Auch Band hat genau wie Vinyl seine Grenzen, welche aber für das menschliche Gehör als sehr angenehm empfunden werden.

stompology: Ich hatte Euch zwei meiner Songs zur Pressung geschickt (Erfahrungsbericht). Diese Songs hatte ich vor der endgültigen Digitalisierung mit einer Bandmaschine gemastert. Die Idee war dabei den Sound „analoger“ zu machen. Esoterischer Quatsch oder „eine gute Idee!“?

Video des dr.dub recording service zur Anfertigung einer Schallplatte

stompology: Ich besitze eine original Single von Bill Haley „Rock Around the Clock“. Wenn ich sie heute höre, dann klingt sie im Sound und im Mono-Mix immer noch so frisch wie es damals und in allen darauffolgenden Jahrzehnten klang. Welches Geheimnis mag dahinterstecken?

stompology: Warum glaubst du werden im Jahr 2024 noch Schallplatten gehört?

stompology: Auf Eurer Website ist zu sehen, dass wirklich aus fast allen Musikgenres Aufträge zur Pressung kommen. Also, von Nostalgikern bis hin zum Rave-Festival DJ. Welche Musikrichtungen machen Dir persönlich Spaß und hörst Du privat auch Schallplatten? Oder ist man froh, wenn nach Feierabend endlich mal Ruhe ist?

stompology: Vielen Dank für dieses ausführliche und informative Gespräch! Ich wünsche Dir und Deinem Team weiterhin Freude an Eurer Arbeit und viele interessante Momente beim Herstellen der „magischen Scheiben“.

Das Interview wurde schriftlich geführt. Die Fragen stellte Christian W. Eggers – 11. Oktober 2024 – christian@stompology.org- (letzte Aktualisierung am 17. Oktober 2024). Die Fotos in diesem Beitrag wurden vom dr.dub recording service zur Verfügung gestellt.

Eine Vinyl Schallplatte pressen lassen – Ein Erfahrungsbericht

In diesem Beitrag geht es um die Erfahrung eigene Songs auf einen Vinyl-Tonträger pressen zu lassen.

Ein Gedanke vorab

Warum eigentlich im Zeitalter der digitalen Musikproduktionen und der Online-Distribution von Kunst jeder Art noch eine Schallplatte pressen lassen? Wahrscheinlich muss man ein Dichter sein um das ausdrücken zu können, was sich der Vernunft schwer erschließt.

To The Bone

„The needle pierced just like a nail
As she rocks me to the bone
Knocks me to the bone“

Mit diesem Zitat aus dem Song „To The Bone“ von den Kinks über das Gefühl beim Auflegen und Hören einer „Scheibe“ soll dann auch an dieser Stelle der Diskussion um das „Für und Wider“ der Vinyl-Pressungen genüge getan sein. It knocks you to the bone! Andere lässt es kalt. Auch in Ordnung.

Zwei Songs auf einer 7-Zoll-Single

Die stompology.org Hausband, Archie Ancora & His Motorboats, hat zwei Songs für den Test ausgewählt. Den Regenbogenboogie und den Song Beschäftigt mit Nichtstun.

Beide Songs wurden ursprünglich digital aufgenommen, anschließend mit einer Bandmaschine gemastert, danach erneut digitalisiert und dann, ohne weitere Eingriffe, im Wav-Format zur endgültigen Pressung an einen Hersteller von Schallplatten online übermittelt.

Tontechnische Anforderungen

Bei den digitalen Aufnahmen der zwei für Vinyl ausgesuchten Songs wurde so vorgegangen, dass sie sich für die technischen Besonderheiten der Wiedergabe über einen Schallplatte eignen. Hilfreiche Tipps hierfür sind in Fachartikeln und den Hinweisen der Presswerke zu finden.

In unserem Beispiel wurden weitgehend die Hinweise des Tontechnikers Nick Mavridis beachtet. Der Artikel 12 Fehler, die beim Mixing für Vinyl gemacht werden kann auf bonedo.de gelesen werden. Ein Interview mit dem dr.dub recording service auch über die technischen Voraussetzungen zur Herstellung von Schallplatten ist hier zu lesen.

Schallplatten Hersteller finden

Sucht man über das Internet Hersteller für Schallplatten auch in kleinen Auflagen und sogar für Einzelanfertigungen, wird man überraschend schnell fündig. Es gibt inzwischen mehrere Anbieter mit umfangreichen Angeboten.

Archie und die Jungs haben sich für den österreichischen Plattenhersteller Dr. Dub entschieden. Einzelanfertigung, unkomplizierte und übersichtliche Online-Bestellung sowie eine beeindruckende Referenzliste waren für die Wahl ausschlaggebend. Der Preis für die Einzelanfertigung lag bei rund fünfzig Euro inklusive Versand.

Ja, das ist eine Schallplatte!

Auspacken, der Geruch, auflegen, Teller starten, die Nadel absenken und gespannt warten auf den ersten Ton. Wie kann man eigentlich das „Erlebnis Schallplatte“ über das Internet vermitteln?

Ok, aber hier ist die digitalisierte A-Seite der Platte, der Regenbogenboogie, zu hören.

Audio „Regenbogenboogie“ erstellt von der Vinyl-Pressung

Gegenüber der digitalen Aufnahme sowie dem Tonband-Master dieser Aufnahme kommen mit dem Abspielen der Platte zwangsläufig andere mitbestimmende Faktoren für den Klang der Aufnahme in das Spiel. Nämlich die Hardware zum Abspielen und Hören der Schallplatte: Schallplattenspieler und Vorverstärker für die Wiedergabe von Schallplatten.

Die hier zu hörende WAV-Datei wurde nicht zur Digitalisierung mit der im Aufmacherbild zu sehenden nostalgischen „Kreissäge“ aus den großen Zeiten der Kieler Unterhaltungselektronik abgespielt. Das wäre wahrscheinlich deutlich in Richtung Lo-Fi gegangen und hätte die „Scheibe“ beschädigt.

Zum Einsatz kamen daher ein Technics SL-1210 MK2 Plattenspieler und ein RIAA-Tonabnehmerverstärker EELA Audio RIAA Preamp EA 804.

Klang der Platte

Beim Hören der zur Bannung auf Vinyl übermittelten Dateien ist es mir nicht möglich mit meinen Ohren und meiner „Abhöre“ klangliche Unterschiede gegenüber dem Abspielen des Songs der Platte über den Plattenspieler festzustellen.

Fazit zum Test

So ein physischer Tonträger macht Spaß. Die Handhabung des rotierenden Hardware-Gedöns ist die Attraktion für Nostalgiker wie Archie Ancora mit seinem 50er Jahre Sound. Schön ist es auch „etwas in der Hand“ halten zu können. Ähnlich eines Fotoabzugs eines bisher digital bestehenden Bildes.

Das Klangbild entspricht exakt dem der eingereichten Datei. Aber: es knistert und rauscht schon ein wenig. Das ist hörbar; insbesondere vor dem Einsetzen des Intros und nach dem letzten Ton der Songs. So soll es sein! Ich wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn nicht.

Christian W. Eggers – 8. Oktober 2024 – christian@stompology.org – (letzte Aktualisierung dieses Beitrags am 11. Oktober 2024)

Über das Komponieren – Alles ist schon da!

Kürzlich hat unser Interpret Archie Ancora sein Machwerk Regenbogenboogie in einem Forum für Homerecording und Hobby-Komponistinnen und Komponisten zur Diskussion freigegeben. Mutig!

Zweifel wurden daran geäußert, dass es sich tatsächlich um einen eigenen Song aus Archies Feder handelt und dieser Song nicht „aus einer 50er Jahre Schatztruhe ausgegraben“ wurde. Ein nett verpacktes Kompliment und genug Anlass darüber zu berichten, wie Songs der stompology.org Hausband Archie Ancora & His Motorboats entstehen. Ich warne alle Leserinnen und Leser. Es wird persönlich.

Einflüsse – Bombenstimmung im Bauch

Archies Mama war überwiegend eine ziemlich schlecht gelaunte Dame. Daran änderte auch die frohe Botschaft der Schwangerschaft mit dem werdenden Archie nichts.

Nur wenn sie Swing hörte, am liebsten Glenn Miller, dann war sie gehobener Stimmung. Es wummert ein Swing Beat und da sind plötzlich Endorphine, die das werdende Baby, ob es will oder nicht will, aufnimmt. Bombenstimmung im Bauch! Archie wurde „geimpft“ für den swingenden Big Band Sound und die albernen Schlager der 50er Jahre aus der Grundig Musiktruhe.

Einfälle und der Zahnarzt

Wann kommt eigentlich der Geist über Komponistinnen und Komponisten? Bei Archie nie. Gäbe es so etwas wie den „göttlichen Funken“, dann zeigt sich dieser zum Beispiel in dem Besuch eines Zahnarztes. Genauer: in einer Lesezirkel-Zeitschrift aus dem Wartezimmer.

Der Song „Beschäftigt mit Nichtstun“ im Wave Format

Man blättert etwas lustlos durch die Promi-Berichterstattung und „Bum!“.

Da steht eine Zwischenüberschrift in einem Interview mit einer Schauspielerin. Die Zeile wird im Layout hervorgehoben: „Ich bin zurzeit mit Nichtstun beschäftigt.“ Da ist er, der „göttliche Funke“.

Die Zeile ist die Idee

Froh den Arztbesuch ohne größere Strapazen überstanden zu haben geht es im gemächlichen Spaziergängertempo nach Hause. Das swingt und ist schön blöd: „Bin so beschäftigt mit Nichtstun, bin so busy mit ausruhen“. Fertig. Jedenfalls bis hier hin.

Wird das was oder wird das peinlich?

Nachdem sich die Atmosphäre der entspannten, leichten Muse mit der Zeile aufgedrängt hat, beginnt die Arbeit. Die ist nichts für schwache Nerven.

Sind schon die eigenen Ambivalenzen von „geht gut bis Oberdoppelmist“ schwer auszuhalten, sind die Reaktionen der nächsten Mitmenschen  auf die ersten Töne so eine Sache zwischen Leben und Tod einer Idee.

An dieser Stelle gilt es auch einmal den Dank auszusprechen für freundliche Ermutigungen der zwei Personen, denen ich meine Einfälle zum ersten Probehören übersende. Auch wenn beim ersten und wiederholten Hören zwischen den Kopfhörermuscheln bestimmt öfter die Augenbrauen hochgezogen werden und sich dann bestenfalls eine nachsichtige Milde à la „lass ihn mal, der Junge spielt mal wieder rum“ ausbreitet.

Das Versprechen, das Handwerk und der Toast Hawaii

Das was man schon im Kopf fertig hört, ist ein Versprechen. Wären da nicht die Grenzen fehlender musikalischer Ausbildung und unzureichenden Spielfertigkeiten die einen auf den Boden der Tatsachen halten, wäre das Versprechen schnell eingelöst.

Es sind Entscheidungen zu treffen. Songform, Arrangement und Text mit den singbaren Silben kommen nicht automatisch. Versuch und Irrtum auf der Basis von alten Rezepten aus dem Kochbuch der „Mucker“ ist ein abenteuerliches Handwerk.

Bleibe ich bei dem Bild „Kochen“, dann weiß ich, dass Aromastoffe aus der Packung nur ein schales  „es schmeckt wie“ und nie ein „das ist es-Gefühl“ auslösen. Also, Finger weg von Konvenienz, Bohnen aus der Dose und künstlichen Aromen aus der Magie-Flasche.

Nun bin ich aber kein Paul Bocuse am Herd. Auch die aus dem Dilettantismus und einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein geborene Genialität des ersten westdeutschen Fernsehkochs Clemens Wilmenrod mit seinem Toast Hawaii ist mir nicht gegeben. Was nun?

Einfache Kost mit wenigen Zutaten, die nicht als mehr erscheinen sollen, als das was sie sind. Auch ein Butterbrot kann schmecken.

Ray Davies

Das Rezept des Herrn Davies

In einem Radio-Interview wurde der Musiker Ray Davies (The Kinks) nach einem Rezept für den perfekten Song befragt. In typischer Selbstironie des britischen Gentlemans beantworte Ray Davies die Frage sinngemäß so:

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kind und kommen auf eine Party von Erwachsenen. Nun wollen Sie die Erwachsenen für drei Minuten unterhalten und deren uneingeschränkte Aufmerksamkeit erhalten. Nach einem furiosen Einstieg kommen Sie schnell zum Thema. Damit die Gäste nicht merken, dass Sie eigentlich immer das gleiche spielen, bauen Sie eine kurze Variation ein. Nun kommen Sie zurück zum Thema und bevor es langweilig wird rasch zum Schluss.

Der Rest ergibt sich

Vielleicht hat Ray Davies mit Lola genau so einen perfekten Song komponiert. Es ist alles schon dagewesen und man kann das Rad wahrscheinlich nicht neu erfinden. Nur ein wenig an der Bauweise und dem Design arbeiten.

Die „eigene Note“ kommt von allein. Auch sie ist meist schon lange da. Man muss einfach nur herausbekommen wer man ist und nicht wer man sein möchte. Der Rest ergibt sich.

In diesem Sinne hier das neueste Werk des gesammelten Blödsinns und der leichten Muse von Archie Ancora & His Motorboats: „Beschäftigt mit Nichtstun“.

Christian W. Eggers – 19. September 2024 – christian@stompology.org – (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 20. September 2024) 

Der deutsche Schlager-Boogie – Wie deutsche Produzenten den „Wirtschaftswunder-Boogie“ erfanden

Irgendwo im mittleren Westen der USA Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Musiker damit, meist rasend schnell, rollende Bassfiguren im Blues-Schema in das Piano zu hämmern. Mit der rechten Hand folgte dann die virtuose Ragtime-Melodik oben drauf. Da war er geboren: der Boogie Woogie!

Der Boogie trat eine lange Reise an. In verschiedenen Gewändern; im Jazz, im Swing, im Jump Blues, im Rock’n’Roll, im Glam Rock (Marc Bolan mit dem unverschämt lasziven I Love To Boogie) und sogar im deutschen Schlager; tauchte die Grundidee des Boogie immer wieder auf.

Boogie produziert augenblicklich Adrenalin und reist einen vom gemütlichen Sofa hoch. Man muss einfach mitgehen; ob man will oder nicht. Musikwissenschaftler sagen es sachlicher. Sie sprechen von einem „motorisch wirkenden Unterbau“. (1)

Einen Höhepunkt der Verbreitung der Boogie-Spielweisen erreichten die US-amerikanischen Big Bands der späten 40er und beginnenden 50er Jahre. Es dauerte nicht lange und auch westdeutsche Musikproduzenten übernahmen Boogie-Spielweisen in verflachter Form für Schlager-Kompositionen.

Die stompology.org-Hausband Archie Ancora & His Motorboats hat es gleich mal ausprobiert mit drei Akkorden einen Boogie im Stil eines deutschen Schlagers der 50er Jahre zu komponieren und zu Gehör zu bringen. Nun ja, wir finden, dass Archie und Jungs eigentlich immer noch ein wenig zu ungezügelt losgelegt haben. Nach einer sehr strengen Plagiat-Prüfung durch die Fachabteilung für Urheberrechte haben wir uns dennoch entschieden dieses Machwerk der unbändigen Lebensfreude demnächst auf „Wir tanzen Boogie! Boogie Party Volume 122“ zu veröffentlichen.
Für Leserinnen und Leser, die Videos in Artikeln nicht mögen: hier das Werk Regenbogenboogie als MP3 zum Reinhören.

Zuvor hatten auch (vorübergehend) ostdeutsche Rundfunk-Orchester den Boogie-Woogie im Stil der US-amerikanischen Big Bands als „Tanzmusik“ adaptiert. Oft auf einem erstaunlich hohen künstlerischen Niveau, das sich nicht vor den Vorbildern der US-Bands verstecken musste. So etwa Franz Thon (mit „Boogie ohne Ende“).

Jedoch „roch“ dieser Boogie nicht nach pulsierender Großstadt, sondern nach Grundig Radios, Borgward Limousinen und den Zigarren des sogenannten Wirtschaftswunders der 50er Jahre.

Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann!

Mit der Wende in die 60er Jahre tauchten die ersten erfolgreichen deutschen Boogie-Hits basierend auf dem Stil der US-Musikerinnen und Musiker des R&B in den deutschen Musiksendungen auf.

Erfolgreiche deutsche Interpreten der bis zur Unkenntlichkeit geglätteten amerikanischen R&B-Boogies waren Peter Kraus und Ralf Bendix („Babysitter Boogie“). Zu dieser Zeit, Anfang der 60er Jahre, war es in den USA fast schon mit der Boogie-Begeisterung vorbei.

Ein witziger deutschsprachiger Boogie-Schlager gelang Trude Herr mit dem Song „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“. Der 3-Akkorde-Song ist eine Adaption des 1958 von dem US-Songschreiber Jack Morrow komponierten und von Randy Randolph gesungenen Rock’n’Roll Song Percolator.

Für das westdeutsche Publikum produzierte und arrangierte Ernst Verch den Song mit Trude Herr jedoch nicht mit E-Gitarren, sondern im oben erwähnten typischen Sound der „swingenden Rundfunkorchester“ der 50er Jahre. Tatsächlich gnadenlos professioneller Big Band Sound! Großes Kino auch im nachfolgenden Video der Auftritt von Trude Herr.

Es lassen sich gegenüber dem Boogie der afroamerikanischen Musiker und Musikerinnen sowie der weißen beherrschenden Rock’n’Roll-Industrie Unterschiede erkennen.

Schlager-Boogie

  • ist nahezu frei von sexuellen Anspielungen,
  • hat keine „zündelnden“ Piano-Exzesse wie bei Little Richard und Jerry Lee Lewis,
  • mildert die rhythmische Schärfe von Offbeat-Akzenten durch „Doo Wap Gesang„,
  • verzichtet auf Ecken und Kanten (disharmonische Einwürfe) und ausgedehnte, improvisierte Soli.

Ich wünsche viel Spaß bei der Beschäftigung mit dem Boogie-Schlager und freue mich, wenn dieser Artikel Anregungen und Mut zum spielerischen Mischen verschiedener Genres vermittelt.

Christian W. Eggers – 1. September 2024 – christian@stompologie.org – (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 2. September 2024)

(1) Beispielhaft: Ekkehard Jost in Reclams Jazzlexikon, Seite 596, 2. Auflage, Stuttgart 2009

Bildnachweis Titelfoto: https://pixabay.com/de/service/license-summary/, Quelle: https://pixabay.com/de/photos/platten-schallplatten-vinyl-hifi-5148599/, Bildautor: https://pixabay.com/de/users/bru-no-1161770/

Schlagzeuger Christoph Buhse im stompology-Interview

Shuffle-Spezialist Christoph Buhse gewährt im stompology.org-Interview Einblicke in seine Karriere als Musikprofi sowie als Lehrbuchautor und er teilt spannende Details zu seinen Auftritten mit Chuck Berry mit. Und Christoph verrät, wie man eine Technik zum Spielen von sehr schnellen Shuffle-Grooves erlernen kann.

Christoph: Ich muss zugeben, dass in der aktuellen Pop-Musik geshuffelte Grooves nur selten vorkommen. Hört man sich die Playlists auf Spotify für Hits 2024 an, findet man keinen einzigen Song im geshuffelten Feel.

„Shuffle“ steht zur Zeit eher für einen Tanzstil, der an Twist erinnert, die Jungen fahren voll drauf ab. Shuffle heißt ja ursprünglich schlurfen, beziehungsweise mischen.

Christoph Buhse ist Drummer, Fachbuchautor, Lehrer und Produzent. Er arbeitet seit über 35 Jahren als professioneller Musiker und hat bei unzähligen Live-Konzerten und Studio-Sessions mitgewirkt. Einige namhafte Künstler, mit denen er gespielt hat, sind Annett Louisan, Joja Wendt, Yvonne Catterfeld, Michel van Dyke und Chuck Berry. 

Dennoch gibt es ab und an doch geshuffelte Songs, die auch Erfolg haben. Ich denke zum Beispiel an Adele mit ihrem Titel-Song  für James Bonds „Skyfall“, oder Phil Collins „You can´t hurry love“. Im Hip Hop wird auch öfters mal geshuffelt, zum Beispiel Code mit „When the saints out“.

Für mich persönlich sind geshuffelte Grooves vielleicht deswegen besonders interessant, weil sie eben dieses Swingige aus dem Jazz haben.

Christoph: Ich übte mit Claus Hesslers „Daily Drum Workout“, ein Buch über Stickings. Mir gefiel die Systematik, mit der alle Positionen geübt werden. Da ich schon immer auf geshuffelte Grooves stand, entstand der Gedanke ein Buch zu schreiben, welches sich diesem Thema widmete, in ähnlich systematischer Art. Wirklich alle möglichen Positionen.

Behandelt werden sollte der normale Shuffle, also ich meine den bluesigen Shuffle im 1/8tel Feel, aber auch geshuffelte 16tel Grooves wie sie zum Beispiel bei Totos „Rosanna“ zu hören sind. Auf dem Markt gab es noch kein Buch zu diesem Thema.

Ich hatte auf der Bundesakademie in Trossingen einige Zeit Unterricht bei Claus und erzählte ihm von dem Vorhaben. Er war begeistert und unterstützte mich sehr bei dem Lehrbuch und stellte dann auch den Kontakt zum Verlag Alfred Music her.

Das stimmt so überhaupt nicht. Aus meinem Unterricht mit jungen Schülern habe ich erfahren, dass diese problemlos geshuffelte Grooves lernen. Allerdings wird das Gehör nicht für den Unterschied zwischen gerade (binär) und geshuffelt (ternär) trainiert, da diese im Höralltag eben selten sind.

Geschwindigkeit ist bei allen Grooves eine große Hürde. Die Hauptinfo dazu: Große Geschwindigkeit – kleine Bewegungen.

Geschwindigkeit ist bei allen Grooves eine große Hürde. Die Hauptinfo dazu: Große Geschwindigkeit – kleine Bewegungen! Konkrete Tipps zum Einüben in Stichpunkten:

  • Erst mal nur die Rechte Hand: 1 Takt 1/4tel , 1 Takt 1/8tel, hier die Bewegung klein ausführen;
  • Das alles noch nicht schnell;
  • Dann beide Hände gleichzeitig: 1 Takt 1/4tel , 1 Takt 1/8tel;
  • Jetzt die linke Hand auf „+“dazu, im 2. Takt auf „e“, „de“: 1 Takt gerade 1/8tel (RLRLRLRL), 1 Takt 16tel;
  • Jetzt die Linke Hand später spielen, kurz vor dem rechten Schlag;
  • Jetzt die Geschwindigkeit leicht erhöhen;
  • Wenn das gut klappt, Bass Drum auf 1 und 3 hinzufügen;
  • Wenn das gut klappt, Bass Drum auf alle Viertel, 1 2 3 4….;
  • Wenn das gut klappt, Hi-Hat auf 2 und 4 hinzufügen.

Christoph: Ich habe durch mein Spiel mit Inga Rumpf und Joja Wendt, dem Hamburger Showpianisten, viel Erfahrung im Bereich Blues, Boogie Woogie sammeln können und habe dadurch ein guten Ruf in diesem Stil gehabt. Joja wurde schon 2004 für Chuck Berry in Hamburg angefragt, ein Jahr später wieder. Er hat mich dann empfohlen und so kam der Kontakt zustande.

Es gab keine Setliste. Chuck erwartete, dass man seine Songs kannte und fing einfach an zu spielen, wie es ihm in den Sinn kam.

Christoph: Ich war ordentlich nervös, denn Chuck hatte keine eigene Band dabei, der örtliche Veranstalter hatte diese zu stellen. Chuck war bekannt dafür, dass er öfters mal während des Konzertes die Musiker von der Bühne schmiss, wenn er unzufrieden war.

Chuck Berry mit Christoph Buhse im Jahr 2005 in Zürich.

Es gab keine Setliste. Chuck erwartete, dass man seine Songs kannte und fing einfach an zu spielen, wie es ihm in den Sinn kam. Dann musste man sofort mitspielen. Allerdings war sein Bassist Jim Marsala immer dabei, er war sehr nett und unterstützte einen, wo er konnte.

Leider wurden die meisten seiner Songs eher rockig gespielt. Das fand ich etwas schade; hatte ich doch die legendäre Konzertaufnahme von „Hail! Hail! Rock’n’Roll“ mit Eric Clapton, Keith Richards und Steve Jordan an den Drums rauf und runter gehört.

Zum Glück war Chuck Berry mit mir zufrieden und hat in Zürich auf der Bühne sogar geschrien „You are a star!“ Vor und nach dem Konzert zog er sich leider eher zurück. Er war freundlich, aber man hatte wenig Kontakt mit ihm.

Christoph: Ich spiele aktuell nicht mehr so viel, weil mir das Reisen große Mühen bereitet. Außerdem hat sich eine gewisse Sättigung eingestellt, mich reizt vieles nicht mehr so sehr. Dennoch spiele ich immer noch sehr gerne Drums und übe auch.

Ich spiele mit einigen Boogie Pianisten zum Beispiel mit Christoph Steinbach & Boogie Boosters aus Kitzbühel. Mit ihm macht es mir Spaß, denn er hat eine unglaubliche Energie beim Spielen und die Band ist sehr gut.

Außerdem spiele ich in einer sehr guten Soulband aus München, Soulkitchen, wir spielen fast nur auf Events für Firmen; die Bezahlung ist dementsprechend fair.

Für mein musikalisches Seelenheil habe ich aber auch mein kleines Homerecording Studio. Ich produziere Musik, wie sie in dem Moment aus mir herauskommt. Die kommerzielle Seite ist noch nicht vordergründig, aber ich hoffe natürlich in dieser Richtung mich etablieren zu können und Musik machen zu können, die mir entspricht, aber eben ohne viel zu reisen.

In Hamburg musste ich doch viel Musik machen, mit der ich haderte. Zum Beispiel Musicals, die sehr schlecht bezahlt werden. Bis auf König der Löwen fand ich die Musik doch zu kitschig.

Christian W. Eggers – christian@stompology.org – 17. August 2024 – Letzte Aktualisierung dieses Artikels am 19. August 2024