Gitarrist Dave Davies soll den Lautsprecher seines kleinen Gitarrenverstärkers mit einem Küchenmesser malträtiert haben. Heraus kam 1964 der mächtige Klang von You Really Got Me. Damit durchbrachen die Kinks die Schallmauer vom freundlich melodiösen Beat zum Rock.
Lange vor dieser drastischen Effektgestaltung – im Jahre 1951 in den USA – geschah etwas Ähnliches. Aus Zufall. So flickte Mr. “The Man Who Invented Rock ‘n’ Roll” Sam Phillips den Transportschaden des Lautsprechers des Gitarren-Verstärkers der Band Kings of Rhythm notdürftig mit Klebeband. (1)
Benennt man als ein entscheidendes Merkmal für den Stil Rock’n’Roll die Hervorhebung einer elektrischen und deutlich verzerrten Gitarre, dann ist Rosetta Tharpe nicht nur die erste Frau, die Rock’n‘Roll Platten aufnahmen. Vielmehr kann Rosetta Tharpe, die ihr erstes Album 1938 herausbringen konnte, als die Erfinderin des Rock’n’Roll gelten. Zweifelsohne weist das Gitarrenspiel von Chuck Berry enorme Ähnlichkeiten der Riffs, der Intonation durch „gezogene“ Saiten und der Silde-Technik auf.

Phillips hatte die Band zu sich in sein Memphis Recording Service, dem Vorläufer von Sun Records, eingeladen. Wahrscheinlich aus rechtlichen Gründen wurde die Aufnahme von Chess Records unter dem Namen Jackie Brenston and his Delta Cats verkauft. Brenston war zu dieser Zeit neben Ike Turner (dem Komponisten des Songs) Mitglied der Kings of Rhythm.
Genau der richtige Sound für den Song Rocket 88 befand Phillips. Boogie, gespielt mit einer heillos verzerrten E-Gitarre. Das klang aufregend neu und ein wenig böse. Der Song über den Edel-Flitzer Oldsmobile Eighty-Eight wurde von Phillips bei Chess Records abgeliefert und promt ein Hit. Die Aufnahme wird heute häufig als ein bedeutender Schritt vom R&B der 40er hin zum Rock ’n‘ Roll eingeordnet.
Den Song kannst Du hier auf YouTube anhören.

Jackie Brenston konnte an den Erfolg von Rocket 88 nicht anknüpfen. Nach dem Versuch einer Solokarriere spielte er in der Band von Lowell Fulson, später wieder bei Ike Turner. In den 1960ern verfiel Jackie Brenston dem Alkohol. (2)
Der Drummer Willie „Bad Boy“ Sims
Als Schlagzeuger der Aufnahme ist Willie “Bad Boy” Sims, Mitglied der Kings of Rhythm, benannt. Sims war zum Zeitpunkt der Aufnahme von Rocket 88 siebzehn Jahre alt. Er ist auf vielen Aufnahmen mit Ike Turner zu hören. (3) Stilistisch war Willie Sims ein Kind seiner Zeit: Jazz als Hintergrund und R&B als Broterwerb.
Der Groove am Schlagzeug
Hier taucht ein alter und guter Bekannter des frühen R&B auf: der sogenannte Back Shuffle oder auch Stumple Shuffle. Es werden alle (!) Offbeats in allen Takten kräftig „durchgespielt“.
Bekannt wurde diese Spielweise durch den Schlagzeuger Oscar Lee Bradley, der diesen Groove 1947 in dem Song T-Bone Shuffle von T-Bone Walker spielte. (4)
Es gibt zahlreiche Spielweisen und Variationen des Back Shuffle. Gemeinsam ist allen, dass die Offbeats – also die Achtel-Schläge auf den Und-Zählzeiten – sich entweder durch Betonung oder durch das am Set gespielte Instrument (zum Beispiel auf der Snare) – gegenüber den Onbeats (die im Hörbeispiel auf der geschlossenen Hi-Hat gespielt werden) deutlich herausheben.
Hier ist eine einfache Spielweise zu sehen und im Audio zu hören. Etwas „modern“ aufgelockert wird der Groove im nachfolgenden Audio durch eine ab und zu getretene Hi-Hat.

Damit das Ding nicht nach zackiger Polka oder nach einem Punk-Rock-Groove klingt, muss unbedingt auf das Swing-Gefühl geachtet werden. Mir helfen dabei auch runde Bewegungen beim Anspielen der Hi-Hat.

Augenommen wurde das Audiobeispiel mit nur einem einzigen (Bändchen-) Mikrofon, positioniert zwischen Snare und Hi-Hat. Für den Groove wurden die ältesten Hi-Hat Schrott-Bleche herausgekramt. Das Auge hört ja mit. 🙂
Ich wünsche viel Spaß beim Ausprobieren und Experimentieren!
Christian W. Eggers – christian@stompology.org – 24. September 2023 (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 20. Dezember 2023)
Literatur und Bildnachweise
- (1) msbluestrail.org/blues-trail-markers/rocket-88; Anmerkung: einige Autoren schreiben, dass Röhren durch den Sturz defekt waren. Wie auch immer und egal. Die Sache mit dem Klebeband klingt einfach spektakulärer.
- (2) https://de.wikipedia.org/wiki/Jackie_Brenston
- (3) Listung der Credits: https://www.discogs.com/de/artist/989236-Willie-Sims
- (4) The Commandments of Early Rhythm and Blues Drumming; Glass, Daniel; Donnelly known as Zoro; Seite 86; 2008; Alfred Publishing, New York
- Teaser, Artikel-Foto: wikimedia, als Public Domain gekennzeichnet
- Foto Platten-Cover Jackie Brenston: Quelle https://recordstoreday.com/UPC/604988323221; Jasmine Records