Das Schicksal tausender Supermarkt Gitarren der Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland) und aus dem Hause Aldi scheint vorgezeichnet. An die Wand gedübelt als Deko, jetzt massenhaft über Kleinanzeigen verschenkt oder gleich zum Sperrmüll gestellt.
Nach Beendigung des Corona Lockdowns ist nunmehr Schluss mit den schönen Künsten in den heimischen Wohnzimmern. Der Wunsch doch noch einmal das Gitarrespielen zu lernen verblasst hinter den zurückgekehrten Zwängen des Erwerbslebens. Und überhaupt war die von Lidl angeschleppte E-Gitarre eine blöde Idee: „Das Ding ist billig und taugt auch nichts!“

Kann man eigentlich mit den 70 Euro Klampfen das Spielen erlernen und auch einen Song so spielen, dass es Spaß macht? Ein Versuch macht klug. Daher hier ein Selbstversuch mit einer schon etwas älteren Stratocaster Kopie, die über Lidl vertrieben wurde. (1)
Das obskure Objekt der Begierde
Mein gebrauchtes Kleinanzeigen-Exemplar der Strat-Kopie aus dem Lidl-Sortiment wurde mir an einem Samstagmorgen von einer übernächtigt wirkenden jungen Dame im Schlafanzug an der Haustür eines Kieler Mietshauses übergeben. „Viel Spaß dann noch damit!“ Rums. Tür zu.
Gut sieht sie aus! Schwarzer makelloser Klavierlack, sauber verchromte Beschläge, ein eleganter Gitarrenkopf ohne krampfhafte Verzierungen, die einer eventuellen Design- und Markenverletzungsklage seitens Fender vorbeugen sollen.
Die Gitarre trägt das Branding Axman und weckt so mehr die Assoziation zu einem Holzfäller-Werkzeug. Zusammen mit Verstärker, Ständer, Kabel, Plektrum, Ersatzsaiten, Stimmgerät, Gurt und Tasche wurde die Gitarre seit ca. 2011 für einen Preis von ca. 100 Euro vertrieben. Aktuell wird ein ähnliches „Rockit“ vom Versandhändler OTTO unter dem Label „McGrey“ für 119 Euro verkauft (Stand 14.11.2023).
Als Hersteller wird in dem der Gitarre beiliegenden Beschreibung der Bedienelemente die Vision Music GmbH in Singen angegeben. Laut Internetportal online-handelsregister.de ist die 2010 gegründete Gesellschaft inzwischen aufgelöst (Stand: 14.11.2023).

Verarbeitung und Einstellen der „Lidl Strat“
Ja, das Ding sieht aus wie eine Stratocaster. Cadillac Design der 50er Jahre so wie Leo Fender es sich ausgedacht hatte. Auffallend ist das hohe Gewicht, welches die 3,2 kg der Originale deutlich übersteigt.
Werden die Saiten angeschlagen und man spürt das Vibrieren des Gitarrenkopfes, soll dieses ein Zeichen für einen guten Kontakt des verschraubten Halses mit dem Body sein. Bekanntlich ist dieser Kontakt für Sustain (Länge des Ausklingvorgangs eines Tons) mit verantwortlich. Prima! Der Kopf vibriert.
Gitarrenhals bearbeiten und einstellen
Der Stratocaster typische breite und damit griffkomfortable Hals entspricht nahezu der Breite des Originals (ca. Sattelbereite 4,3 cm). Unangenehm ist jedoch die scharfe Gratung des Halses, die sogar an den Bünden seitlich besteht und behindert. Mit Sandpapier lässt sich das innerhalb von wenigen Minuten beheben. Sogar ohne sichtbare Spuren, da der Hals nicht lackiert ist.

Die Banane des Halses war deutlich. Der Hals musste dringend begradigt werden. Er war viel zu lose, so dass er sich gut sichtbar nach unten wölbte. Auch das ist behebbar; so wie bei einer „echten Strat“. Hierzu wird nur ein handelsüblicher Inbusschlüssel benötigt. Die Einstellschraube ist über eine Bohrung im Gitarrenkopf zu erreichen (siehe Foto des Kopfes weiter oben). Es empfiehlt sich die Gitarre nach dem Einstellen des Halses für ein bis zwei Tage unter Saitenzug stehen zulassen und nochmals zu justieren.
Saitenlage einstellen
Die Saitenlage, also der Abstand zwischen Griffbrett und Saiten, lässt sich ebenfalls so wie üblich für die einzelnen Saiten mit einem Inbusschlüssel individuell einstellen (siehe Foto unten).

Mechaniken einstellen
Hier ist meist der kritische Punkt, der über die Bespielbarkeit einer „Billiggitarre“ entscheidet. So wie die Gitarre eingestellt war, konnte sie keine Stimmung halten. Das lag hier nicht an schlechten Mechaniken, sondern an losen Schrauben und Muttern. Nachdem die Muttern und Schrauben (siehe Foto) angezogen wurden, hält die Gitarre die Stimmung auch bei „härterer Gangart“. Es ist also nicht gleich notwendig, die Mechaniken durch hochwertigere zu ersetzen.

Oktavreinheit einstellen
Nach dem ein neuer Satz Saiten aufgezogen ist, lässt sich ebenfalls wie bei dem Original die Oktavreinheit sehr bequem und genau einstellen (siehe Foto unter „Saitenlage einstellen“).
Oktavrein ist die Gitarre dann, wenn eine Saite im 12. Bund angeschlagen den Ton der ungedrückten Saite genau eine Oktave höher erklingen lässt. Die Oktavreinheit ist eine wichtige Grundlage zur Kontrolle der Bundreinheit einer Gitarre.
Elektronik
Hier gibt es nichts zu tun. Potentiometer und Klangregler arbeiten sauber. Der Umschalter funktioniert. Es brummt und kracht nichts. Die Tonabnehmer liefern den Sound, den man mit einer Stratocaster verbindet. Ein Soundbeispiel findest Du in dem Video unter „Fazit“.
Wie glücklich wäre ich im Alter von zwanzig Jahren (das war so ungefähr nach der ersten Mondlandung) gewesen, eine Gitarre mit einer derartig fehlerfreien Elektronik besessen zu haben. (2)

Axman-Tipps zum Einstellen der Gitarre

Fazit
Mit etwas Geduld und Werkzeug konnte die Strat Kopie tatsächlich in ein brauchbares Musikinstrument verwandelt werden. Es wird weder die Lust am Üben rauben und auch nicht unbenutzt in der Ecke stehen bleiben. Dort, wo man vielleicht seine 1.700 Euro Strat nicht aufs Spiel setzten möchte oder einfach mal neben dem Klang einer akustischen Gitarre etwas Abwechslung sucht, kann die 70 Euro Kopie als „Zweitgitarre“ nach dem Einstellen und Anpassen eine funktionierende Alternative oder Ergänzung sein.
Für meine inzwischen mehr mit den Drumsticks vertrauten Hände ist das Ding eine schöne Abwechslung.
Die Sache mit dem Image
Man stelle sich vor: Der mit Samt ausgeschlagene Gitarrenkoffer wird geöffnet. Auf das fragende Stirnrunzeln der Mitmusiker und Musikerinnen streicht man zärtlich über die Saiten und erklärt feierlich: „Es ist eine Lidl Axman.“
„Hättest du’s vermutet? Derek Trucks, der für sein Slide-Spiel weltbekannte Gitarrist, spielte eine billige Silvertone. Der Tapping-Gitarrenheld Eddie van Halen setzte in seinen Anfangstagen auf eine Teisco. Und der Multiinstrumentalist Prince, Mr. Purple Rain persönlich, spielte eine günstige Tele-Kopie aus japanischer Fertigung. Welche Songs und Sounds wären uns vorbehalten geblieben, wenn es diese Heros nicht gegeben hätte.“ Online Magazin musikmachen.de
Was will man mehr!
Christian W. Eggers – 13. März 2022 – christian@stompology.org (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 27. November 2023)
- (1) Wichtig: Dieser Test und Erfahrungsbericht bezieht sich nicht auf akustische Gitarren. Auf Grund ihrer Bauweise bestehen bei den aller meisten Konzert- und Westerngitarren nur eingeschränkte Möglichkeiten der Justierung ohne Hilfe eines Instrumentenbauers. Eine akustische Gitarre für unter 100 Euro, die zum Einstieg geeignet ist, ist dem Autor nicht bekannt.
- (2) In den 70er Jahren vertrieb der Kaufhauskonzern Hertie eine Billiggitarre die scherzhaft als „Hertiecaster“ bezeichnet wurde. Im Gegensatz zu neueren Low Budget Gitarren war die Elektronik wenig ausgereift und störungsanfällig. Hinzu kommen neue Computer gestüzte maschinelle Massenfertigungsmöglichkeiten, mit denen sehr präzise produziert werden kann.
Antwort an Anonymous Kommentar vom 27. September 2023: Vielen Dank für den Hinweis zur fehlenden Erklärung der Begriffe Bundreinheit und Oktavreinheit. Ich habe die Wörter jetzt mit Links zu weiterführenden Informationen versehen.
Bei aller Lobhudelei über das Produkt hätte ich diesen Satz doch gerne erläutert:
„Die Oktavreinheit ist eine wichtige Grundlage zur Kontrolle der Bundreinheit einer Gitarre.“
Zumal ein Anfänger mit beiden Begriffen in der Regel herzlich wenig anfangen kann.
Die Bundreinheit könnte wohl nur ein Gitarrenbauer wirklich überprüfen und ggfs. mit entsprechendem Aufwand korrigieren, aber ein Anfänger? Bei der Oktavreinheit sieht das schon anders aus.
BTW: Ich habe selbst so einen billigen „Chinakracher“ eines anderen Herstellers (obwohl, kann man sich da sicher sein?) und ich behaupte jetzt mal ganz mutig, die Verarbeitungsqualität steht den Stratocastern eines bekannten amerikanischen Herstellers mit dem großen „F“ in nichts nach; allerdings sind jene mindestens 10 mal so teuer. Gelobt sei die CNC-Technik und die industrielle Fertigung elektronischer Bauteile.
Vielen Dank für Deinen / Ihren Kommentar. Tatsächlich habe ich wesentlich teurere Gitarren gespielt. Dennoch ist das Exemplar einer „Billiggitarre“ für mich gut zu spielen. Erstaunlich auch, wie gut das Ding die Stimmung bei jetzt in der Nacht stark ausgekühlten Zimmern hält.
Letztendlich liegt es meist nicht an der Gitarre, wenn etwas nicht so klingen will, wie Ich möchte.😊
Der Bericht hat mir sehr gut gefallen, denn er ist ehrlich. Viele Musiker rümpfen von Anfang an die Nase und es gibt wenige, die sich an eine objektive Kritik für ein Discounterinstrument herantrauen. Seit der Zeit als ich kurz vor 1980 mein erstes Instrument bekommen habe, hat sich vieles (auch dank chinesischer) Produzenten zum Besseren gewendet. Von der Qualität heutiger Instrumente die man für ein Taschengeld bekommen kann, konnte man in meiner Anfangszeit nur träumen.
„Bananenhals begradig,bundenden geschliffen, weitere Kleinigkeiten korrigiert, und schon ist die nicht mal schlecht klingende Pasadenastrat gut bespielbar.