Röhren-Tonbandgerät – Wenn es richtig retro klingen soll

Ist ein Tonbandgerät aus den 70er Jahren schon eine Herausforderung zur Aufnahme von Live-Musik, so wird es richtig spannend, wenn man sich mit einer „Röhren-Kiste“ der 60er Jahre befasst.

Vorweg: Es lohnt sich für alle Musikerinnen und Musiker, die den analogen Workflow und den „schmutzigen“ Sound der sehr frühen Jahre der Popmusik mögen. Im Zuge der Lo-Fi Bewegung könnte ein Röhrengerät auch für jüngere Künstler und Künstlerinnen interessant sein.

Zwischen Einbildung und Tatsache

Was ist anders gegenüber einem Transistorgerät? Das Fachmagazin amazona.de beschreibt es für Verstärker so:

„Während bei einem Transistor das Signal nahezu gradlinig verläuft, so hat man bei Röhren immer kleinere Schwingungen, die in der Endverstärkung mitverstärkt werden. Das ist im Prinzip die ‚Störung‘, die den warmen auch angezerrten Sound der Röhre erzeugt.“

Egal was es ist, es klingt einfach anders! Weil die Röhren andere Fehler (sogenannte Artefakte) produzieren als die Transistoren eines „modernen“ 70er Jahre Tonbandgerätes. Eine sehr hoch ausgesteuerte Schlagzeugaufnahme, aufgenommen mit einem Röhren-Tonbandgerät, lässt das Herz des alten R&B und Jazz Drummers höher schlagen.

„Old Tape Recorder Stomp“ aufgenommen mit einem Grundig TK 27 L aus den 60er Jahren

Aber wenn am Ende doch noch digitalisiert wird…

Wozu der Aufwand, wenn die Bandaufnahme hinterher digitalisiert wird? Weil die digitale Technik es ermöglicht, die typischen „Fehler-Eigenschaften“ der Röhrenaufnahme gnadenlos festzuhalten und wiederzugeben.

Beispiel: Digitalisiert man ein Filmnegativ, werden Filmkorn-Strukturen und weitere analoge Artefakte mit eingescannt. Wird keine Entstörungssoftware eingesetzt; siehe da, es sieht aus wie früher. Genau so funktioniert das mit der Digitalisierung von analogen Tonaufnahmen.

Lässt sich der Röhren-Sound und der Klang der Bandkompression nicht digital simulieren?

Gut ausgesteuerten Bandmaterial wird eine gewisse Musikalität nachgesagt. Lässt sich das nicht einfacher mit Softwareprogrammen digital simulieren? Ja! Das geht im Laufe der Entwicklung immer besser. Sogar mit kostenfreier Software.

Mir macht das aber gar keinen Spaß. Ich sehe eine Bandmaschine als einen Teil meines „analogen“ Musikinstruments an. Arbeitsabläufe und Technik der analogen Gerätschaften bewirken ein intensiveres und tieferes Erleben von Musikproduktionen, als dieses am Computer möglich ist. Es beginnt damit, dass ich mein Drumset viel genauer stimme und nicht denke „die Software wird es schon noch machen“.

Was kostet der Spaß?

Was muss investiert werden, damit man mit Röhrengeräten in der heutigen Zeit aufnehmen kann? Zeit, Zeit, Zeit und ein gehöriges Maß an Frustrationstoleranz.

Klar, man kann sich für 25.000 Euro eine restaurierte Studiomaschine aus den 50er Jahren kaufen. Es geht aber auch preiswerter mit sogenannten Consumer-Geräten, also den Geräten, mit denen der „Musikverbraucher“ damals Musik aufgenommen und gehört hat.

Zeit, Zeit, Zeit und ein gehöriges Maß an Frustrationstoleranz

Grundig TK 27 L Tonbandgerät mit Röhrenbestückung aus den 60er Jahren. Herzlichen Dank an Klaus Diemer aus Bad Füssing, der mir dieses gepflegte Gerät aus seiner eigenhändig restaurierten Sammlung zur Verfügung gestellt hat. Es ist schön, die Begeisterung für diese alten Geräte mit jemanden teilen zu dürfen.

Oben im Bild ist ein Grundig Tonbandkoffer TK 27 L zu sehen. Mehr oder weniger funktionsfähig kann so ein altes Gerät aus den 60er Jahren zwischen 40 und 250 Euro kosten. Je nach Erhaltungszustand. Ganz ohne etwas Schrauben, Basteln und Reinigen wird es selten gehen. Hilfe hierbei kann z. B. über das tonbandforum.de gefunden werden.

Hürden und Tipps

Hier einige Hinweise, die helfen sollen, sich schlechte Erfahrungen zu ersparen.

Aussteuerung bei Stereo-Aufnahmen

Geräte mit zwei Aufnahmekanälen haben meist nur eine Aussteuerungsanzeige für beide Kanäle. Das „magische Band“! Es reagiert erstaunlich schnell und genau. Nicht so träge wie die Zeigerinstrumente der 60er und 70er Jahre.

Bei Stereoaufnahmen empfiehlt es sich zunächst nur ein Mikro mit dem Gerät zu verbinden und die manuelle Aussteuerung im Pausenbetrieb vorzunehmen. Dann kann das zweite Mikro aufgestellt und so ausgesteuert werden, dass dieses nicht zur Übersteuerung führt.

Bei der Digitalisierung können anschließend beide Kanäle natürlich noch ein wenig zur jeweils gewünschten Ausgewohgenheit korrigiert werden.

Das „magische Band“ zeigt den Pegel der Aussteuerung der Aufnahme an. Berühren sich die günen Seiten leicht, ist die maximale Aussteuerung erreicht. Im Normalbetrieb ist die Röhre natürlich abgedeckt und nur als kleiner Schlitz über dem Schriftzug „Stereo“ sichtbar.

Etwas einfacher ist es, wenn die Mikros vergleichbar der Blumlein-Aufstellung (die für Mikros mit Achtercharakteristik gedacht ist), also sehr dicht beieinander in die gleiche Richtung zeigend, aufgestellt werden. Hier können dann beide Mikros gleichzeitig ausgesteuert werden.

Mikrofonaufnahmen ohne externen Vorverstärker

Soll ohne zusätzliche technische Ausrüstung aufgenommen werden, sind die passenden hochohmigen (ca. 5 bis 20 kOhm Impedanz) Mikrofone notwendig. Zu Grundig TK Geräten passen die robusten und schweren Grundig Studiomikrofone mit der Bezeichnung GDM 322 und GDM 321.

Wichtig ist, dass der Stecker nicht von einem Vorbesitzer „verbastelt“ wurde und sich die im DIN Stecker enthaltene spezielle Schaltung im Originalzustand befindet. Diese Mikros funktionieren dann auch hervorragend an anderen Geräten, wie etwa denen von Uher.

Ein so hochwertiges Mikro ist schon für 50 Euro über „ebay-kleinanzeigen“ zu finden.

Die schweren und robusten Grundig Mikrofone GDM 321 und GDM 322 sind gesucht und sie werden nicht nur von „Retro-Fans“ geschätzt.

Zu bedenken ist noch, dass der direkte Betrieb der hochohmigen Mikros an einem Grundig TK Röhrengerät nur mit geringen Kabellängen ohne Qualitätsverluste möglich ist.

Möglich ist es aber mittels eines Vorverstärkers mit eingebauter DI-Box zwischen Mikro und Tonbandgerät lange Kalbel zu verwenden (siehe nachfolgenden Abschnitt).

Mikrofonaufnahmen mit Vorverstärker und DI-Box

Sollen Aufnahmen mit den heute üblichen niederohmigen Mikrofonen angefertigt werden, ist die technische Anpassung zu Röhrenbandmaschinen notwendig. Hier kommt der technisch Unkundige schnell durcheinander: Impedanz, symmetrisch, asymmetrisch?

Wenig Gedanken um Anschlüsse mit Impedanzanpassungen sowie störendes Brummen muss man sich machen, wenn ein Mikrofonvorverstärker mit DI-Box zwischen „modernen“ Mikros (niederohmig und meist mit symetrischen XLR-Verbindungen) und alter Bandmaschine angeschlossen wird.

Bandmaterial

Frisches Bandmaterial gibt es noch via Musikhaus Thomann zu bestellen. Mit einigen gebrauchten und sogar ungebrauchten Bändern von BASF habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese inzwischen enorm „schmieren“ und zu extremen Verunreinigungen der Tonköpfe, Bandführungen und Rollen führen.

Hervorragend in der Verabeitungsqualität sind die alten BASF Bänder mit der Bezeichnung LGS 52. Auch nach intensiven Nutzungen erzeugen sie kaum Abrieb und keine Schmutzfilme in der Bandführung sowie an den Tonköpfen. Die Bänder sind an ihrer Weinroten Rückseite mit dem durchlaufenden Aufdruck LGS 52 zu erkennen.

„Wie alle Bandarten vom Typ LGS auf der praktisch unverwüstlichen ©LUVITHERM-Folie. Das dauerhafte Tonband für den normalen Gebrauch.“ (http://www.magnetbandmuseum.info/basf-produkte-1960.html)

Verbindung zum Interface

Bei der Digitalisierung ist bei Grundig TK Geräten der 50er und 60er Jahre zu beachten, dass ein Ausgangssignal an das Interface nur ausreichend kräftig ausgegeben wird, wenn der Lautsprecherregler des TK (TK = Tonbandkoffer) aufgedreht wird. Der Innenlautsprecher kann zum Glück an der Rückseite des Gerätes abgeschaltet werden.

Die Lautstärke der Abhörkontrolle (z. B. mit Kopfhörer) ist dann über das Interface herzustellen. Die Verbindung zum Interface lässt sich beim TK 27 über die dritte Buchse von links gesehen auf der Rückseite des Gerätes herstellen.

Und wie klingt es nun?

Ich wünsche den Leserinnen und Lesern, dass dieser Artikel zum Experimentieren einlädt. So ein Bandgerät kann sehr viel Freude machen. Ich freue mich über Nachfragen und Hinweise aus der Leserschaft.

Christian W. Eggers – 23. Januar 2022 – christian@stompology.org – (Letzte Aktualisierung dieses Artikels am 12. Juni 2022.)

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