In der Theorie ist mehrstimmig singen und aufnehmen ganz einfach. Man gruppiere die Band um ein einziges Mikrofon, lege die Hauptstimme fest und der Rest der Band singt die passenden verschiedenen Nebenstimmen. Die Praxis der Aufnahme ist auch einfach. Oder genauer gesagt: sie war einfach. Dann, wenn beispielsweise Talente wie die Musiker der Beach Boys oder der Hollies loslegten.
Was aber, wenn die Band nicht über die gesanglichen Fähigkeiten der Altmeister der Mehrstimmigkeit verfügt? Muss dann auf Mehrstimmigkeit verzichtet werden?
Wie man es dennoch ohne Chorerfahrung zumindest für eine Aufnahme hinbekommen kann, davon handelt dieser Artikel.
Mehrstimmigkeit im Rock’n’Roll
Zunächst eine kurze Erklärung zur Mehrstimmigkeit in der „populären Musik“ mit möglichst wenig Fachausdrücken. Gemeint mit „populärer Musik“ ist der traditionelle Jazz und natürlich der Rock’n’Roll mit seinen „Doo Wop Gesangsstil“.
Im Prinzip basiert Mehrstimmigkeit auf dem Singen von Akkorden. Also dem gleichzeitigen Erklingen zweier oder mehrerer verschiedener Töne. Der sogenannte Akkordsatz wird zum Satzgesang.

Wie man die Stimmen herausfindet
Hat der Song beispielsweise die Tonart G, kann man die Hauptstimme und die möglichen Nebenstimmen schnell durch das Anschlagen des Akkordes G auf einer Gitarre herausfinden.
Da ist zunächst der Grundton G mit dem Schwingen der angeschlagenen tiefen E-Saite zu hören. Es folgt auf der A-Saite der Ton D. Das ist schon mal eine erste und schöne Ergänzung zum Grundton G. Man hat tatsächlich eine zweite Stimme, wenn eine Person das G singt und eine weitere das D.

Lyrische und „bluesige“ Wirkungen
Dominiert das D im Gesang über dem Grundton G, erhält man eine „lyrische Stimmung“. Dominiert das G in der Lautstärke, ist der Ton D die Begleitung. Sie bewirkt eine zarte Klangfarbe neben der Hauptstimme.
Weitere Stimmen lassen sich jetzt mit den einzelnen Tönen des Akkordes G finden und festlegen, indem man einfach die einzelnen Saiten des Akkordes anspielt. Besonders spannend ist es für den Doo Wop Gesangsstil, um bei der Tonart G zu bleiben, einem G eine sogenannte Septstufe zuzufügen. Im Beispiel wird dann aus G ein G7. Das klingt dann ziemlich „bluesig“.
Aufnahme des Satzgesangs
Es gibt Menschen, die haben die Gabe, einfach schon beim Hören der ersten Stimme, eine zweite Stimme spontan und sicher singen zu können. Verfügt man jedoch nicht über diese Fähigkeit, können dennoch Nebenstimmen mit einem kleinen Trick aufgenommen werden.
Zunächst wird die Hauptstimme aufgenommen. Jetzt folgen die später zu löschenden Hilfsspuren mit einzelnen Tönen des Akkords. Im Beispiel ist es der Akkord G. Das nachfolgende Bild zeigt das Prinzip.
Die Hilfsspuren mit dem jeweiligen Ton eines Akkordes dienen jetzt als Stütze. Es fällt damit leicht, die einzelnen Töne der Nebenstimmen zu treffen und parallel zum Gehörten aufzunehmen.
Die Lautstärken zwischen bereits aufgenommener Hauptstimme und dem aufgenommenen Gitarren-Stützton zur noch jeweils aufzunehmenden Nebenstimme kann man individuell für das Mithören über Kopfhörer regeln.
Die Gitarren-Hilfsspuren werden nach der gelungenen Nebenstimmen-Aufnahme gelöscht und die einzelnen Stimmen „zusammengemischt“.

Ich hoffe, diese Anleitung ist hilfreich und ich wünsche viel Spaß bei Ausprobieren!
Christian W. Eggers – 7. Mai 2024 – eggers@stompology.org – (letzte Aktualisierung dieses Artikels am 7. Mai 2024)